Teil 3: Triebschnee

Von Jörn Heller am 9.Feb. 2015

Wie in den vorangegangenen Artikeln bereits angeführt, beschreibt ein Muster in der analytischen Lawinenkunde ein regelmäßig immer wiederkehrendes Lawinenproblem. Im aktuellen Artikel soll auf das Gefahrenmuster "Triebschnee" eingegangen werden.

Das aktuelle primäre Gefahrenmuster wird im Lawinenlagebericht benannt (Was ist aktuell die Hauptgefahr?) und kann bei entsprechendem Know How auf Tour wiedererkannt und bewertet bzw. eingeschätzt werden. Voraussetzung ist also, dass ich bewusst wahrnehme und aktiv nach potenziellen Gefahrenstellen und Lawinenproblemen suche.

In der modernen, auf zwei Säulen basierenden Lawinenkunde ermöglicht das Erkennen von Gefahrenmustern eine Verifikation der zuvor getroffenen Aussagen/Annahmen der Probabilistik mittels Snowcard bzw. Reduktionsmethode. Meine Ausführungen beschränken sich auf die vier Schweizer Muster: Neuschnee (Teil 2), Triebschnee (Teil 3), Nassschnee (Teil 4) und Altschnee (Teil 5).

„ Der Wind ist der Baumeister der Lawinen":  Dieser klassische Spruch von Wilhelm Paulcke ist auch heute noch genauso aktuell wie vor 100 Jahren.

Der Faktor "Wind"
Wind verfrachtet Schnee, wobei die Schneekristalle mechanisch zertrümmert bzw. zerkleinert werden. An windgeschützten Stellen, dem sogenannten Lee, wird der Schnee dann dicht gepackt abgelagert. Triebschnee sammelt sich also in Rinnen und Mulden, hinter Geländekanten und an Hangkanten sowie nach Hangschwellen (Düseneffekt). Er ist besonders spröde und es dauert auch bei günstigen Bedingungen bis zu 3 Tage, bis eine Bindung zum Untergrund entsteht.

Wird Triebschnee beispielsweise auf Reif abgelagert, haben wir die perfekte Voraussetzung für eine Schneebrettlawine (gebundener Schnee auf Schwachschicht), da sich die Bindung enorm verzögert. Die Gefahr bleibt also lange bestehen.

Gefährlich sind insbesondere die Randzonen mit niedrigerer Schneehöhe und generell die Übergänge von viel zu wenig Schnee. Diese sind allerdings leider oft nur schwer zu erkennen, doch Randzonen von konkaven Geländeformen wie Rinnen und Mulden sind grundsätzlich verdächtig und sollten umgangen werden. Mächtige Triebschneebretter hingegen können durch uns Wintersportler oft gar nicht ausgelöst werden, da wir durch die Dicke des Triebschneekeils die Schwachschicht quasi nicht ausreichend stören können.

Merke:

  • Schneeverfrachtung setzt bereits bei Windgeschwindigkeiten von ca. 15 km/h ein, das entspricht cirka 4m/s.
  • Die Menge des verfrachteten Schnees steigt enorm mit der Windgeschwindigkeit an, sofern genug Schnee vorhanden ist.
  • Der Windgeschwindigkeit kommt also eine wesentliche Bedeutung zu.
  • Triebschnee kann sich bereits nach wenigen Stunden bilden und bleibt bei tiefen Temperaturen und ungünstigen Gleithorizonten lange erhalten.
  • Insbesondere Randzonen von Rinnen und Mulden (hier ist die Triebschneedecke eher gering und damit leichter störanfällig) und generell alle Windschattenlagen wie z.B. Geländebrüche sind heikel, sollten erkannt und umgangen bzw. umfahren werden.
  • Frischer Triebschnee ist insbesondere ab 30° Hangneigung- und erst hier beginnt ja das Skifahren Spass zu machen- heikel.
  • Achtung: Triebschneelinsen sind oft auch kleinräumig stark unterschiedlich verteilt
  • Triebschnee kann erkannt und sollte umgangen werden.

Erkennen, aber wie?
Erkennen, einschätzen, entscheiden lautet die Regel. Es gibt eine ganze Reihe typischer Anzeichen für Windtätigkeit und folglich Triebschnee:

1. Wechten: Sie wachsen mit dem Wind und markieren dadurch die Windschattenseite (Lee).
2. Wellen und Dünen auf der Schneeoberfläche: Sie sind ebenfalls das Ergebnis starker Windtätigkeit und damit Schneeverfrachtung. Der Wind weht dabei im rechten Winkel zu den Wellen. Die steil abfallende Seite der Wellen liegt im Windschatten, die flache Seite der Welle zeigt zum Wind (Luv).
3. Windgangeln: Sie werden auch Zastrugis genannt und sind vom Wind herausgefräste Erosionen in der Schneeoberfläche. Die steile Seite der Windgangeln zeigt zum Wind, sie haben dem Wind sozusagen die Stirn geboten. Zatrugis sind in aller Regel recht hart und unangenehm zu befahren.
4. Freigeblasene Rücken und Grate: Schneearme Rücken und Grate sind besonders dem Wind ausgesetzt. Hier wird massiv Schnee von den konvexen Geländeformen in die konkaven Formen wie Rinnen und Mulden verfrachtet. In Letzteren liegt dann oft meterhoch der verfrachtete auslösebereite Triebschnee. Entsprechend fatal kann im Umkehrschluss die Annahme sein, es liege ja sowieso kaum Schnee, ergo bestehe auch keine Lawinengefahr. Bei freigeblasenen Stellen sollten wir uns immer fragen: Wo ist er denn der Schnee?
5. Anraum: Bildet sich an feststehenden Gegenständen wie z.B. Gipfelkreuzen und wächst grundsätzlich gegen den Wind. Hier lässt sich schön die Hauptwindrichtung der vergangenen Wochen feststellen.
6. Kometenschweif: Diese Formen entstehen hinter Hindernissen wie z.B. Steine und Felsbrocken. Oftmals ist vor dem Hindernis eine Aushöhlung erkennbar - der Windkolk. Der Schweif befindet sich also immer auf der Leeseite des Steins, er zeigt also vom Stein aus wie ein Zeiger „mit dem Wind".
7. Zudem kann Triebschnee hart oder weich sein, daher ist die Einsinktiefe beim Spuren unregelmäßig
8. Es bildet sich ein Spursteg und
9. Es gibt Alarmzeichen(Wumm Geräusche, frische Schneebrettlawinen und Risse in der Schneedecke).

Frischer Triebschnee ist grundsätzlich brandgefährlich und kann als Brett abgehen. Es empfiehlt sich 1-2 Tage abzuwarten und erkannte Triebschneepakete zu umgehen bzw. verdächtige Hangbereiche möglichst zu meiden.

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