Eine Reise in die Šar Mountains

Eine Reise in die Šar Mountains

Von Michał Ślusarczyk / Marek Victor Klimczak am 6.Apr. 2023

Seit vielen Jahren durchstreife ich die Berge auf der Suche nach der perfekten Abfahrt. Skifahren ist für mich eine großartige Möglichkeit, neue Länder zu entdecken, imposante Gebirge zu erkunden und interessante Menschen kennenzulernen. Doch in den letzten beiden Wintern hat mich die Realität der Coronapandemie daran gehindert, meine Flügel auszubreiten. Stattdessen habe ich mich auf ungewöhnliche Skiorte konzentriert. In diesem Text möchte ich euch auf eine meiner Reisen mitnehmen: Nordmazedonien.

Nordmazedonien ist ein kleines Land im Süden Europas und eine der ehemaligen jugoslawischen Republiken. Doch es ist viel mehr als nur ein Geschichtsbuch-Eintrag über Alexander den Großen (König von Makedonien) und seine Eroberungen. Das Land ist wild, hat eine vielfältige Natur, eine großartige Küche und freundliche Menschen. Außerdem gibt es hier viele Denkmäler zu entdecken. Obwohl Nordmazedonien nur 1.200 Kilometer von Polen entfernt ist und über eine gut ausgebaute Autobahn verfügt, lässt sich das Land am besten mit dem Flugzeug erreichen. Die Hauptstadt Skopje ist von allen größeren Städten in Polen in nur wenigen Stunden erreichbar. Von dort aus sind es nur anderthalb Stunden mit dem Auto bis zu den verschneiten Šar Mountains.

Die Šar Mountains habe ich zufällig entdeckt. Ich hatte nur fünf Tage Zeit, um zu reisen, und ich wollte frischen Tiefschnee genießen, ohne zuvor aufzufellen. Das bedeutete, dass ich nicht Skitourengehen wollte, sondern einfach nur Freeriden – was in Pandemiezeiten gar nicht so einfach war. Also suchte ich im Internet nach einer Lösung und stieß auf Mazedonien. Dort gab es nicht nur gute Schneeverhältnisse, sondern auch die Möglichkeit des Catskiing, sozusagen dem "Heliskiing für Arme". Ein paar Stunden später überquerte ich die EU-Grenze und war auf dem Weg in ein neues Abenteuer. EU-Staatsbürgern reicht zur Durchquerung von Serbien und Nordmazedonien ein gültiger Personalausweis.

Ich erreichte die Stadt Tetovo am Fuße der Šar Mountains. Mit über 50.000 Einwohnern ist Tetovo ein wichtiges Industrie-, Handels- und Universitätszentrum. Hier erledigte ich alle notwendigen Einkäufe und setzte meinen Weg fort. Das GPS zeigte weniger als 20 km bis zum Zielort. Doch statt Schnee regnete es und die Stadt wirkte trostlos. Ich wurde unruhig und fürchtete, dass meine Wünsche nicht in Erfüllung gehen würden. Glücklicherweise wurde die Straße am Stadtrand winterlich, und ich legte die letzten Kilometer in dichtem Schneetreiben zurück.

Unterwegs nach Popva Šapka kreuzten wir immer wieder die Ruinen der alten Seilbahn von Tetovo nach Popva Šapka. Die Seilbahn wurde Anfang der 1960er Jahre zu Zeiten von Josip Broz Tito gebaut und hatte ihre Blütezeit während der Existenz Jugoslawiens. Als einst einziges Transportmittel nach Popva Šapka trug sie dazu bei, dass der Ort zu einem der besten Skigebiete Jugoslawiens aufstieg. Die Seilbahn selbst war die modernste in der Region und wurde als die längste auf dem gesamten Balkan bezeichnet – mit einer Länge von über 6 Kilometern. Heute führt eine gut ausgebaute Landstraße auf den Berg und "teleportiert" uns in weniger als 40 Minuten über 1.200 Höhenmeter aus dem herbstlichen Tetovo in die winterliche Zauberwelt der Šar Mountains nach Popva Šapka.

Das Šar-Gebirge ist doppelt so groß wie die gesamte Tatra in Polen und verteilt sich auf die Länder Nordmazedonien (mit mehr als 50% des Gebiets), Kosovo und Albanien. Es umfasst mehr als 30 Gipfel, von denen der Titov Vrv mit 2.748 Metern der höchste ist. Die Schneedecke hält hier an mehr als 130 Tagen im Jahr, und die Niederschlagsmenge von 1.200 mm sorgt für hervorragende Bedingungen während des Großteils der Saison. Obwohl das Skigebiet nicht besonders gut ausgebaut ist – es gibt nur neun Lifte und etwas mehr als 20 Pistenkilometer – funktioniert alles doch recht passabel. Eventuell liegt das an der zentralen Verwaltung. Zum Glück sind wir jedoch nicht hier, um auf der Piste zu fahren.

Zwei private Unternehmen nutzen das schwach ausgebaute Skigebiet in Verbindung mit dem großen Potenzial des Šar-Gebirges für Catskiing. Abenteuerlustige Skifahrer und Snowboarder können mit den Pistenraupen in die entlegensten Winkel dieser Berge gebracht werden, was die perfekte Lösung für uns ist: kein Skitourengehen, sondern viel Freeriden.

Endlich haben wir unser Ziel erreicht. Auf den ersten Blick sieht es nicht allzu spektakulär aus: ein paar Hotels, Restaurants und ein Geschäft. Hier und da kann man jedoch Spuren des früheren Glanzes sehen, gemischt mit dem modernen Einfallsreichtum privater Unternehmer – alles natürlich im "Balkan-Flair". Wir sind etwas unsicher, als wir uns nach unserem Hotel umschauen, aber zum Glück bestätigt sich unsere Unsicherheit nicht. Dank des örtlichen Reiseveranstalters Shar Outdoors übernachten wir in einem luxuriösen Hotel mit Sauna, Swimmingpool und einer sehr gut ausgestatteten Bar (vier "Balkan-Sterne"!). Am Abend erwartet uns ein mazedonisches Festmahl, über das man in einem Reiseführer ein eigenes Kapitel verfassen könnte.

Am Morgen werden wir von starkem Wind geweckt und erneut beschleicht uns das Gefühl, dass wir den falschen Ort gewählt haben könnten. Doch beim Packen des Rucksacks stellen wir erleichtert fest, dass wir keine Felle, Steigeisen oder Pickel mitschleppen müssen. Unsere Rucksäcke scheinen fast schon zu leicht zu sein. Sicherheitshalber haben wir trotzdem etwas von unserer Tourenausrüstung mitgenommen. Schließlich machen wir uns auf den Weg zum Freeriden.

Ein paar Schritte vom Hotel entfernt wartet unsere Pistenraupe auf uns. Der morgendliche Dieselgeruch liegt in der Luft. Nach einem kurzen "Sicherheitscheck" geht es los. Das Wetter ist nicht sonderlich gnädig mit uns. Starke Windböen und Schneefall peitschen gegen die Windschutzscheibe der Cat. Zum Glück sind wir noch im Inneren. Nach ein paar Minuten wechseln wir auf die andere Talseite, wo der Wind nachlässt. Vor uns erstreckt sich ein weitläufiges Gebiet mit einem lichten Wald. Hier beginnen wir unsere erste Abfahrt. Der Wald hat den Schnee hervorragend vor den starken Böen abgeschirmt, die Bedingungen sind ideal. Wir ziehen unsere ersten Spuren in leicht verwehtem Tiefschnee. Wir können beobachten, dass unsere Guides das Gebiet wie ihre Westentasche kennen und ihr Bestes geben, um für uns die bestmöglichen Abfahrten zu finden. Kaum haben wir den Sammelplatz erreicht, schnallen wir unsere Skier ab und einen Moment später taucht unsere Pistenraupe hinter den Bäumen auf, um uns den nächsten Hang hinaufzubringen. Nach zwei Stunden sehr angenehmer "Warm-Up-Runs" machen wir in einer kleinen Hütte Halt, um ein zweites Frühstück zu uns zu nehmen. Lokale Köstlichkeiten füllen unsere schnell verbrauchte Energie wieder auf und wir sind bereit für die Weiterfahrt. Inzwischen hat der Wind nachgelassen und die Wolken haben sich gelichtet. Unsere Guides beschließen, die Abfahrten in den höheren Regionen in Angriff zu nehmen. Die Bedingungen sind nicht einfach, aber die Pistenraupe bahnt sich mühelos ihren Weg durch windgepeitschte Schneeverwehungen, schmale Gratkämme und steile Mulden. Stellt euch ein Gebiet vor, das so groß ist wie die Westliche Tatra, mit der Möglichkeit, alle Berggipfel mittels einer Pistenraupe zu erreichen. Einzig die Bedingungen und unsere individuellen Fähigkeiten schränken uns ein. Im höchsten Teil des Gebirges gelingt es uns, einige wirklich außergewöhnliche Linien zu finden. Das abwechslungsreiche Gelände mit seinen offenen Schneefeldern, Rinnen, Mulden, Wechten und anderen interessanten Formationen bietet großartige Möglichkeiten zum Freeriden. Durch die Möglichkeit, die Exposition schnell zu wechseln, finden die Guides immer wieder großartige Hänge für uns.

Nach einem wundervollen Tag zeigen unsere Uhren über 7.000 Höhenmeter an, was mit Tourenski nur schwer vorstellbar wäre. Wir fahren mit den Skiern bis vor die Hoteltür und eröffnen direkt das Après-Ski in der Sauna und im Pool, begleitet von lokalen Getränken. Das Getränk Palinka hat es uns besonders angetan.

Die folgenden Tage sehen in etwa gleich aus, jedes Mal kehren wir mit einem breiten Lächeln im Gesicht zurück ins Hotel.

Es hat uns so gut gefallen, dass wir nur einen Monat später mit unseren Kunden hierher zurückkehren. Diesmal überraschte uns Popva Šapka mit einem riesigen Schneefall. Die Bedingungen, die wir vorfinden, sind so gut, dass sogar Besucher der japanischen Insel Hokkaido zufrieden sind.

Zusammengefasst kann man sagen, dass die Šar Mountains ein sehr großes Freeride-Potenzial haben. In Kombination mit dem professionellen Team vor Ort wird man immer einen guten Hang zum Abfahren finden. Vielleicht nicht immer im kniehohen Tiefschnee, aber dafür in wilden Bergen, die ideal zum Freeriden sind. Wer auch im Aufstieg körperlich aktiv sein möchte, kann ein gemischtes Programm buchen.

Infos:
Popova Shapka
liegt in Nordmazedonien oberhalb der Stadt Tetovo. Früher gab es eine Gondel direkt von der Stadt ins Skigebiet. Shapka, wie es von den Einheimischen genannt wird, war in Jugoslawien ein beliebtes und quirliges Skigebiet, das nach dem Kosovo Krieg sich selbst überlassen wurde. In dem Bergkessel auf 1.800 Metern hatte sich lediglich das Mazedonische Militär mit Offiziers-Kasinos eingerichtet. Doch jetzt ist wieder Leben in das historische Skigebiet eingekehrt. Spannend für Freerider ist besonders das Hinterland, ein gewaltiges Areal mit Gipfeln bis 2.600 Meter Höhe - weite Genusshänge, Treeruns, Rinnen und Steilhänge.

Anreise:
Von München mit dem Auto sollte man einen Tag Anreise bzw. mindestens 15 Stunden reine Fahrzeit einrechnen.
Flüge von München nach Skopje, der Hauptstadt von Nordmazedonien, gibt es ab ca. 200 Euro. In Skopje dann mit dem Mietwagen weiter nach Popova Šapka (ca. 90 Minuten).

Unterkunft:
In Popova Šapka gibt es mittlerweile wieder einige Hotels und Unterkünfte. Bei einer Buchung über Shar Outdoors z.B. übernehmen aber diese die Hotelreservierung.

Catskiing:
Shar Outdoors bietet Catskiing Pakete ab3 Tagen bzw. 4 Übernachtungen mit Vollpension an – zu vernünftigen Preisen. Außerdem kümmern sie sich um alle Sicherheitsbelange, und bilden auch die Guides aus.

Michał Ślusarczyk
Gebürtig aus Zakopane in der Hohen Tatra und Gründer der Freeride Academy, die Freeride-Reisen weltweit organisiert. Professioneller PZN/ISIA Skilehrer, Tatra-Guide, TOPR-Bergretter und Majesty-Ski-Botschafter.

Gemeinsam bietet er mit Shar Outdoors mittlerweile seit Jahren Catskiing-Reisen in Mazedonien an.

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