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splashfin
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Drei Wochen lang hatten mehrere Pistenraupen die Schneemassen zu einer enormen Sprungschanze aufgehäuft. Jetzt erstrahlte die Rampe im Licht der Abendsonne. Etliche Snowboardprofis waren nach Hemsedal in Norwegen gekommen, um an der Fotosession über die Monsterschanze teilzunehmen. Doch beim Anblick des Ungetüms verließ sie der Mut. "Zu groß, unmöglich zu schaffen", lautete das Urteil der Snowboard-Elite. Nur Mads Jonsson war anderer Meinung. "Natürlich waren die Abmessungen des Sprungs riesig, und noch nie zuvor ist ein Snowboarder über so einen Kicker gesprungen", sagt der 24-jährige Norweger. "Aber die Schanze war perfekt gebaut, es sah machbar aus." Lange blickte er auf die hohe Schneekonstruktion. 40 Meter weit müsste er mindestens fliegen, sonst würde er auf dem flachen Schanzentisch aufprallen.
Jetzt steht Mads oben an der Anlaufspur, atmet nochmals tief durch und entscheidet sich. Der Hang ist über 35 Grad steil und Mads nimmt schnell Fahrt auf. Er kauert sich zusammen, um den Luftwiderstand so gering wie möglich zu halten. Nach 200 Metern hat Mads ein Tempo von 130 Stundenkilometern drauf und fliegt über die Absprungkante hinaus. Unter den Zuschauern herrscht Totenstille. Zehn Meter über dem Schnee segelt Mads durch den Abendhimmel. Dann setzt er auf dem Schnee auf. "Das war kein normaler Sprung", erinnert sich Mads. "Es war, als ob ich wie ein Skispringer auf der Luft gleiten könnte." Sprungweite: 57 Meter, Weltrekord. Aber Mads will noch mehr. Als er zum sechsten Mal die Anlaufspur hinabrast, weiß er nicht, dass dies sein vorerst letzter Versuch sein sollte.
"In der Anfahrt waren zwei Buckel, die ich wohl dumm erwischt habe und dadurch langsamer geworden bin", so Mads. Er prallt vom Schnee wieder ab, überschlägt sich in der Luft und rutscht noch etliche Meter weiter. Wie durch ein Wunder bricht er sich bei dem Sturz nur die Hand. Das war im Mai 2005, seitdem hat Mads den Ruf, keine Angst zu kennen. Seine Karriere als Profi hat dadurch einen gewaltigen Schub bekommen.
Damit Fachmagazine über sie schreiben und ihre Fotos drucken, müssen Snowboarder auf sich aufmerksam machen. Wer nicht aus der Masse heraussticht, hat es schwer, an gute Sponsoren zu kommen. Höchstleistungen sind gefragt, und obwohl es so aussieht, als ob sich das Niveau kaum mehr steigern ließe, steht Mads unter Druck: "Ständig werde ich gefragt, wann ich den Rekord brechen will. Aber das will ich gar nicht versuchen. Ich denke, ich war der Grenze des Machbaren schon sehr nahe."
Rekorde bricht auch Julian Carr. Doch der amerikanische Freeskiprofi springt nicht weit, sondern tief. Er hält den Weltrekord für den Salto von der höchsten Klippe, den je ein Skifahrer gewagt hat. 63 Meter hoch ist die Felswand in Engelberg, von der sich Julian im März 2006 kopfüber gestürzt hat. "Der Tag war einfach perfekt", schwärmt er. "48 Stunden lang hatte ein Schneesturm die Schweiz heimgesucht, dann türmte sich der Pulverschnee meterhoch und garantierte mir eine sanfte Landung." Bevor sich Julian in die Tiefe warf, stellte er sich oben an die Kante und blickte hinab. "Wenn mir meine innere Stimme sagt, dass etwas nicht stimmt, springe ich nicht", erklärt Julian. Der Amerikaner glaubt, sich nach einer schmerzhaften Lektion vor vier Jahren richtig einschätzen zu können. Damals schlug er nach einer Sprungkombination direkt auf dem Felsen auf und zog sich einen mehrfachen Oberschenkelknochenbruch zu. "Ich hätte sterben können, aber ich hatte Glück. Jetzt profitiere ich von der Erfahrung und weiß, dass man das Risiko nie unterschätzen darf." Für Julian ist mit 63 Metern die Grenze des Möglichen noch nicht erreicht. "Ich denke, dass der menschliche Körper noch viel mehr aushalten kann. Im Moment habe ich eine 83 Meter hohe Klippe im Kopf."
Nur ein Skifahrer weiß bisher, wie sich der Aufprall aus so einer Höhe anfühlt: Jamie Pierre. Der 32-jährige Profi aus den USA hält den Weltrekord für den Sprung von der höchsten Klippe. 77 Meter sprang er im Januar 2006 in die Tiefe. Auf den Fotos ist Jamie nur als kleiner Punkt vor einer riesigen Felswand zu erkennen. Sieben Jahre hat er angeblich gewartet, bis die Schneelage im Skigebiet Grand Targhee in Wyoming für den Sprung reichte. Obwohl Pierre bis auf eine aufgeplatzte Lippe unverletzt blieb, verlief die Aktion absolut nicht nach Plan. Auf halbem Weg in die Tiefe verlor er die Kontrolle, kippte nach hinten und schlug Kopf voraus im Schnee ein.
Nicht jeder freute sich über den Rekord und die spektakulären Fotos. Susie Barnett-Bushong, die Sprecherin des Skigebietes Grand Targhee, sah schon etliche Nachahmer über die Klippe springen. In einer Pressemitteilung verwies sie auf zwei Skiprofis, die in den USA bei Sprüngen von wesentlich niedrigeren Felsen umgekommen waren. STEPHAN BERNHARD
Julian Carr sprang von einer 63 Meter hohen Felswand - mit Salto
GRAFIK: Bei spektakulären Sprüngen reizen die Springer ihre Möglichkeiten aus und verschätzen sich gelegentlich tödlich. Foto: Imago
UPDATE: 17. Januar 2007
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