Rechtssatz
Die Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.
Streitentscheidend ist die Frage nach der Haftung des "Führers aus Gefälligkeit", also eines Bergsteigers, der einen anderen weniger geübten Bergsteiger auf eine Tour mitnimmt. Eine übertriebene Sorgfaltspflicht ist dem Bergsteigen an sich nicht nur wesensfremd, sondern widerspricht auch den Erfahrungen des täglichen Lebens und geht weit über die Maßnahmen, die ein pflichtbewußter Bergsteiger zur Abwendung von Gefahren trifft, hinaus. Bei Bedachtnahme auf die beim Bergsteigen notwendige Eigenverantwortlichkeit kann bei einem Zusammenschluß mehrerer Personen zu einer Bergtour nie der Geübtere oder Erfahrenere allein deshalb verantwortlich gemacht werden, weil er die Führung übernommen, das Unternehmen geplant oder die Route ausfindig gemacht hat; gleiches gilt auch für jene Person, die
innerhalb einer Gruppe eine deutlich erkennbare Initiative zum Betreten von gefährlichem Gelände entwickelt (7 Ob 580/78; Hörburger, Zur Frage der strafrechtlichen Beurteilung von Bergunfällen, in ÖJZ 1971, 57 [58]; vgl auch Gidl in seinem Vortrag beim Hochalpinseminar Silvretta vom 17. bis 21. 9. 1979 in ÖJZ 1980, 461). Anders liegen
indes die Dinge, wenn jemand die Führung aus Gefälligkeit übernimmt, aber seinem unerfahrenen Begleiter die erst später auftretenden, für diesen vorher nicht erkennbaren Gefahren und Schwierigkeiten verschweigt oder wenn jemand einen Bergunerfahrenen zu einer für diesen schwierigen Bergtour bzw zu einem schwierigen Abstieg dadurch,
daß er deren Gefährlichkeit verniedlicht oder gar bestreitet, überredet (vgl 7 Ob 580/78; vgl auch Hörburger aaO 59).
Der Beklagte übte im vorliegenden Fall willentlich durch den Einsatz seines größeren bergsteigerischen Könnens, seiner größeren alpinen Erfahrung und seiner ausgeprägteren Gebietskenntnisse für weite Teile der gemeinsamen Bergtour, insbesondere aber auch bei der versuchten Begehung des Schneefelds, in dessen Bereich der Unfall stattfand, seinem Begleiter - dem Kläger - gegenüber die Führungsrolle als "faktischer Führer" aus. Dabei ist es rechtlich unerheblich, daß der Beklagte auch als "Führer aus Gefälligkeit" anzusehen wäre, weil er als erprobter Bergsteiger den Kläger als einen mehr oder weniger alpinistischen Neuling animierte, sich ihm aufgrund seines Könnens und seines Erfahrungspotentials anzuvertrauen und mit ihm auf Tour zu gehen. Den Feststellungen nach hat der Beklagte nämlich von Anfang an klargestellt, daß er als Initiator der Tour für deren gesamten Ablauf zur umfassenden Anleitung und Betreuung, mithin also zur "Führung" des Klägers, bereit war (vgl Galli, Haftungsprobleme bei alpinen Tourengemeinschaften, 22 f). Je größer die Unterschiede im alpinistischen Leistungsvermögen und Erfahrungsstand ausfallen, desto intensiver ist der Schwächere auf das Können seines kompetenteren Partners zur möglichst gefahrlosen und sicheren Bewältigung der Tour angewiesen. Ein "Führer aus Gefälligkeit" weiß, daß sein schwächerer Begleiter die Tour vor allem deshalb mit ihm unternimmt, weil er ohne seine Betreuung und Unterstützung den alpinistischen Anforderungen gar nicht gewachsen wäre und damit eine solche Tour überhaupt nicht wagen würde (Galli aaO 85). Sowohl im Rahmen von Tourengemeinschaften mit einem Führer aus Gefälligkeit wie auch bei Tourengemeinschaften mit faktischem Führer ist das dem kompetenten Tourengemeinschaftsmitglied - hier dem Beklagten - entgegengebrachte Vertrauen des schwächeren Begleiters - hier des Klägers - schutzwürdig (Galli aaO 86). Die Frage, welche Sicherungsmaßnahmen im Einzelfall zu treffen sind und welche Gefahr zu beachten ist, kann
bei der Vielfalt der Möglichkeiten nicht generell beantwortet werden (Hörburger aaO 59 f). Gewiß kann auch dem besten Bergsteiger bei außergewöhnlichen Verhältnissen ein Fehler unterlaufen, doch ist die objektive Sorgfaltswidrigkeit danach zu beurteilen, wie sich ein gewissenhafter Bergführer oder ein durchschnittlich pflichtbewußter Bergsteiger in der jeweiligen Situation verhalten hätte (Rabofsky, Das Recht bei Berg- und Schiunfällen, in AnwBl 1980, 135 [139] unter Berufung auf einen Diskussionsbeitrag von Hörburger). Wenngleich an einen "Tourenführer aus Gefälligkeit" bzw auch einen "faktischen Führer" nicht der gleiche Sorgfaltsmaßstab wie an einen professionellen, erwerbsmäßig tätigen Bergführer angelegt werden darf (Michalek, Dissertation: Schadenersatzrechtliche Verantwortung des Bergsteigers, Haftungsstrukturen in Gefahrengemeinschaften, 197), muß doch von einem solchen Führer jene Sorgfalt erwartet werden, wie sie einem ihm vergleichbaren Alpinisten bei der Führung und Begleitung von Tourengruppen objektiv zuzumuten ist (Michalek aaO 19
. Im vorliegenden Fall hätte der Beklagte angesichts der von ihm zu erwartenden und vom Kläger auch erwarteten Sachkenntnis das abschüssige Schneefeld als gefährlich einstufen und deshalb für die gefahrlose Querung des Schneefelds durch den ihm vertrauenden und
letztlich auch insoweit anvertrauten Kläger die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen (vgl 7 Ob 742/7
. Dementgegen machte er dem Kläger vor, der Abstieg über das Schneefeld sei nahezu ungefährlich, verschwieg diesem also nicht nur die für ihn erkennbare Gefahr und die Schwierigkeit des Abstiegs, sondern überredete ihn
sogar dadurch, daß er dessen Ungefährlichkeit beteuerte, zum schwierigen Abstieg (vgl 7 Ob 580/78 und SZ 37/105): Dadurch verletzte er seine Sorgfaltspflicht gleichwie ob als Führer aus Gefälligkeit oder als faktischer Führer ganz eindeutig, sodaß er vom Kläger zu Recht zur Haftung herangezogen wurde.
Dem Einwand des Beklagten, er sei seit mehreren Jahren vor dem Unfall nicht mehr als Bergsteiger unterwegs gewesen, ist entgegenzuhalten, daß er sich trotz dieses Umstands - wie schon ausgeführt - als faktischer Führer gerierte; dazu wäre er angesichts der mangelnden Übung umso weniger berechtigt gewesen. Ist auch die von ihm gewählte Route grundsätzlich nicht als gefährlich zu bezeichnen, so stellte die Überquerung des Schneefelds bzw der Abstieg über dieses - wie sich danach ohnehin herausstellte - eine Gefahr dar, die nicht hätte unterschätzt werden dürfen. Es ging dabei nicht um ein bloßes "Ausrutschen", das jederzeit und überall unterlaufen kann, sondern um einen Absturz im Bereich einer gefährlichen Stelle aufgrund mangelnder Bergerfahrenheit.
Soweit der Beklagte einwendet, der Kläger habe dargelegt, daß sich jener um ihn nicht gekümmert habe, woraus offensichtlich sei, daß der Beklagte für den Kläger keine Garantenstellung habe übernehmen wollen, übersieht er die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen, aus denen ganz eindeutig hervorgeht, daß der Beklagte dem Kläger mehrfach Hilfestellung im Zuge des Auf- und auch des Abstiegs gewährt hat.
Ein Mitverschulden des Klägers ist nicht anzunehmen; jedenfalls wäre es so unerheblich, daß es gegenüber dem gravierenden Fehlverhalten des Beklagten ganz in den Hintergrund treten würde und daher unbeachtlich wäre (vgl 7 Ob 742/7
: War die Bergtour - wie der Beklagte meint - grundsätzlich nicht gefahrenträchtig, so durfte sich
der Kläger darauf verlassen, daß der Beklagte als faktischer Führer einer dennoch auftretenden Gefahr mit seiner Erfahrung und dem nötigen Fachwissen sowie den dann gebotenen Anweisungen an den Kläger begegnen werde. Dies war aber nach den Feststellungen des Gerichts zweiter Instanz nicht der Fall.
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