Unterwegs mit dem Bayerischen Lawinenwarndienst

Von Benedikt Nöth am 28.Feb. 2013

Allgäu, Ende Februar 2013. Wie schon so oft in diesem Winter schneit es kräftig. Freerider sitzen ungeduldig in ihren Büros oder in der Schule und warten auf den freien Tag, um sicher in den verdienten Powder zu starten. Vorher sollte man aber den Lawinenlagebericht studieren. Wer erstellt den eigentlich? Wer gräbt da wo die Löcher? Um diese Fragen zu beantworten, treffen wir uns mit Kristian Rath. Wir begleiten den Beauftragten des Bayrischen Lawinenwarndienstes für das Allgäu bei seiner Arbeit.

Freitag Nachmittag, B19-Parkplatz zwischen Kempten und Oberstdorf. Betriebswirt Kristian Rath steigt aus seinem Auto. Die Begrüßung fällt freundlich und locker aus. "Servus! Ich stelle mein Auto an einem Wanderparkplatz am Fuße des Berges ab und dann fahren wir zusammen nach oben zum Ausgangspunkt unserer Tour. So haben wir nach der Pflicht noch eine schöne Abfahrt." Das hört sich gut an. In einem kleinen Allgäuer Skigebiet ziehen wir die Felle auf die Ski. Eigentlich wollte ich den Aufstieg nutzen, um Kristian einige Fragen zu seiner Arbeit für den Warndienst zu stellen. Aber nach knapp 100 Metern überlege ich es mir anders. Meine Luft brauch ich für das Aufsteigen. Rath ist echter Routinier, bei vier bis fünf Touren in der Woche - und das seit zehn Jahren - ist das nicht verwunderlich.



Der untersuchte Hang will gut ausgewählt sein
Nach einer knappen dreiviertel Stunde kommen wir an einen Gipfelhang, der völlig unberührt scheint. Hier will Rath das Schneeprofil analysieren. Er begründet seine Wahl des Hanges mit: "Er ist selten befahren, der Schnee kann sich ruhig ablagern und er ist nicht mehr direkt im Windschatten irgendwelcher Bäume." Diese Kriterien sind wichtig für eine unverfälschte Analyse. "Um ein richtiges Profil zu erstellen, müssen wir bis zum Boden graben." Also an die Arbeit. Nach 30 Minuten haben wir ein zwei Meter breites und zweieinhalb Meter tiefes Loch gegraben. Vom Boden aber noch immer keine Spur. Nach weiteren 15 Minuten treffen wir endlich auf Grasbüschel.



Sehr durchwachsener Winter
Nun beginnt die Dokumentation. Zuerst muss die gesamte Schneehöhe gemessen werden. Derzeit liegen in den Allgäuer Alpen auf 1600 Meter circa 270cm Schnee. Laut Kristian Rath ist der Winter 2012/2013 eher schneearm, ich hingegen bin froh, dass das Graben vorerst ein Ende hat. Auf seinem Dokumentationsbrett erfasst er die Schneehöhe und die Hangausrichtung. Den Aufbau der Schneedecke nimmt er genauer unter die Lupe. Mit bloßem Auge sind hier schon Unterschiede zu erkennen. Da der diesjährige Winter sehr niederschlagsreich und immer wieder mit Wärmeperioden verlaufen ist, sind unterschiedliche Schichten von massiven Schnee- und Regenfällen gut zu sehen. Um die Beschaffenheit der einzelnen Schichten genauer zu betrachten prüft er die Gebundenheit. Während er seinen Finger mühelos in Schichten mit ungebundenem Schnee stecken kann, braucht es in den festeren Schichten schon einen Bleistift. Dann kommt die schwarze Schneekristalltabelle zum Einsatz. Aus den unterschiedlichen Ablagerungsschichten löst der Allgäuer Schnee und untersucht ihn mit der Lupe. All dies hält er auf seinem Dokumentationsbrett fest.



Eindrucksvolle Demonstration anhand der Rutschblockanalyse
Um nun zu schauen, ob er mit seinen Ergebnissen richtig liegt, schaufeln wir einen knapp ein-mal-ein-Meter großen und 1,5-Meter hohen Block frei. Mit leichten Schlägen der Schaufel aus dem Handgelenk versucht er Schwachschichten aufzuspüren, doch der Schneeblock bleibt standhaft. Erst als Kristian beherzt mehrmals aus der Schulter auf den Schnee einschlägt, rutscht das obere Drittel ab. Circa 50 Zentimeter gleiten wie durch ein unsichtbares Messer abgeschnitten nach vorne. Und fallen herunter. Kristian Raths Vermutung hat sich bestätigt. Bei geringer Zusatzbelastung passiert nichts, wird die Schneedecke aber einer großen Belastung ausgesetzt, kann sich die oberste Schicht lösen. Auch das hält er fest, um seine zusammengetragenen Ergebnisse später an die zentrale Sammelstelle des Bayerischen Lawinenwarndienstes weiterzugeben.



Man muss sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen
"Jetzt haben wir uns aber auch eine Abfahrt verdient!" Nach gut zweieinhalb Stunden packen wir unsere Schaufeln ein und steigen die letzten Meter bis zum Gipfel auf. Im Anbetracht der Abfahrt die vor uns liegt, interessiert mich was Kristian von dem Trend des Freeridens hält. "Auch wenn man abseits der Piste ist muss man sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzen. Das Problem ist nur allzu oft, dass im Nahbereich der Pisten durch die häufigen Befahrungen, Lawinensprengungen und den Einfluss der Schneekanonen, die sich meistens auch positiv auswirken, der Schneedeckenaufbau besser ist und die geschlossenen Schwachschichten nicht so vorhanden sind. So kommt man da oft zu einem Ergebnis, man könne alles fahren und kann es dann weiter abseits eben doch nicht. Weil im wirklich unberührten Gelände dann eben der Aufbau anders ist. Aber man sieht, dass sich die, die Abseits fahren, intensiver mit dem Thema auseinander setzten und auch besser ausgerüstet sind. Auch wenn die Zahl der Freerider in den letzten Jahren stark zugenommen hat, so ist die Zahl der Lawinenopfer nur schwach angestiegen. Jetzt aber los!" Nach den ersten Schwüngen im Powder merkt man, dass Kristian auch nach zehn Jahren und unzähligen Höhenmetern der Job noch Spaß macht. Aber wer kann von sich schon behaupten, dass sein Arbeitsweg eine solche Abfahrt bereithält?

Hier gelangt ihr zum Schneedeckenbericht vom 22.02.2013, den Kristian während unseres Besuchs erstellt hat.

Demnächst könnt ihr auf freeskiers.net lesen, was mit den Daten passiert, sobald Rath sie an die Landeswarnzentrale weitergeleitet hat.
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