Teil 4: Nassschnee

Von Jörn Heller am 25.Feb. 2015

Wie in den vorangegangenen Artikeln bereits angeführt, beschreibt ein Muster in der analytischen Lawinenkunde ein regelmäßig immer wiederkehrendes Lawinenproblem. Im aktuellen Artikel soll das Gefahrenmuster "Nassschnee" im Vordergrund stehen.

Das Gefahrenmuster "Nassschnee" wird oft mit Frühjahrsbedingungen in Verbindung gebracht und selbstverständlich ist zu dieser Jahreszeit auch die Verbreitung am häufigsten. Aber Vorsicht: Entsprechende Exposition, Höhenlage, milde Temperaturen, fehlende Abstrahlung und Regeneintrag in die Schneedecke vorausgesetzt, ermöglichen auch eine Nassschneelawinenproblematik im Hochwinter.

Es ist schwer zu beurteilen, wann eine Schneedecke so stark durchfeuchtet ist, dass sich einzelne Schneeschichten entfestigen oder alte, tief liegende Gleithorizonte dadurch wieder aktiviert werden. Sobald aber Wasser frei in der Schneedecke flotiert, sprechen wir von einer vollständigen Entfestigung. Aus Schneekristallen werden Schmelzformen. Die Folge sind oft große, sich bis zum Grund lösende Nassschneelawinen, die allein schon durch ihre schiere Gewichtskraft eine ungeheure Energie entwickeln und alles mit sich reissen.

Vor dem Gefahrenmuster Nassschnee ist man nur sicher, solange die Schneeoberfläche tragfähig gefroren ist. Sobald die Schneedecke durchfeuchtet ist, sollte man dringend auf die Tour verzichten. Bei Frühjahrsskitouren sollte man deswegen stets die alte Regel befolgen und früh aufbrechen, um früh wieder zurück zu sein. Vorsicht bei nachmittäglichem Zu- oder Abstieg zur Hütte!

Gleitschneelawinen
Eine besonders heimtückische Variante des Gefahrenmusters Nassschnee ist das Gleitschneebrett. Gleitschneelawinen können jederzeit spontan abgehen, im Gegensatz zur zuvor erwähnten Frühjahrslawine, die dem Tagesgang unterliegt und deutlich einfacher zu berechnen ist.

Merke: Im Gegensatz zu trockenen oder nassen Schneebrettlawinen entstehen Gleitschneelawinen nicht aufgrund eines Bruches in einer Schwachschicht, sondern durch markanten Reibungsverlust am Übergang der Schneedecke zum Untergrund. Dieser Reibungsverlust wird durch Wasser verursacht, daher muss der Schnee am Übergang zum Untergrund feucht sein. Dabei rutscht die gesamte Schneedecke am Boden ab.

Besonders gefährliche Gleithorizonte befinden sich an Sperrschichten, auf denen sich das Wasser sammelt und einen Schmierfilm bildet. Beispiele hierfür sind Eislamellen, Felsen, Eis und Wiesen.

Fällt Schnee auf warmen Untergrund und wird von großen Schneepaketen überdeckt, bildet sich dazwischen ein Gleitfilm, der aufgrund der Isolation durch die darüber liegenden Schneeschichten mehr oder minder den ganzen Winter erhalten bleibt- die Schneedecke kann nie ganz durchfrieren.

Woher kommt das Wasser?
Laut Jürg Schweizer vom Schweizer Lawinenforschungsinstitut in Davos gibt es mindestens vier Prozesse, die für die Bildung einer nassen Schicht am Übergang der Schneedecke zum Boden verantwortlich sind.

  1. Schmelz- oder Regenwassereintrag, der die komplette Schneedecke durchdringt. Die Schneedecke ist dabei 0 Grad isotherm.
  2. Im Boden gespeicherte Wärme wird nach dem ersten großen Schneefall an die Schneedecke abgegeben und schmilzt die untersten Zentimeter an.
  3. Wasser steigt durch kapillare Kräfte vom Boden auf und wird in die untersten Zentimeter der Schneedecke gesogen.
  4. Schnee kann in der Nähe von dunklen Felsen geschmolzen werden und dann in die Schneedecke fließen oder es tritt Boden- bzw. Hangwasser auf.

Merke: Schneemäuler bilden sich, wenn einzelne Hangbereiche ein Stück abgleiten und im weitesten Sinne des Wortes „ein Maul" bilden. Sie sind ein typischer Hinweis auf Gleitschnee- bzw. Nassschneelawinenproblematik. Entgegen früherer Annahmen sind sie ein klarer Gefahrenhinweis und kein Zeichen für Entspannung.

Da Gleitschneelawinen sich weder sprengen lassen noch von Personen ausgelöst werden können, hilft nur eines, um das Risiko klein zu halten: Zonen mit Fischmäulern meiden und nicht länger als unbedingt notwendig in ihrer Nähe aufhalten.

Typische Anzeichen und Warnhinweise für das Gefahrenmuster Nassschnee sind:

  • Regen
  • fehlende Abstrahlung
  • Hohe Temperatur und Sonneneinstrahlung
  • Große Einsinktiefen
  • Spontane Lawinen (Schneebretter und Lockerschneelawinen)

Nassschneelawinen sind typisch in der Nähe von wärmenden Felsen, finden sich aber generell in unterschiedlichsten Expositionen und Höhenlagen in Abhängigkeit von Jahres- und Tageszeit.

Weist der Lawinenlagebricht auf das Muster Nassschnee und insbesondere Gleitschneelawinengefahr hin, ist höchste Vorsicht geboten!

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