Tripreport: Gressoney

Tripreport: Gressoney

Von JuliaS am 27.Apr. 2018

Anfang April ins Aostatal, genaugenommen nach Gressoney-La-Trinité – im Blick das Monterosa-Massiv mit Matterhorn, Montblanc, Lyskamm und etlichen weiteren 4000ern… Abenteuerlich!

Äh nein, weniger. Zumindest nicht das, was wir uns unter abenteuerlichem Skifahren vorstellen würden. Nach sehr arbeitsreichen Wintermonaten sollte die Woche im Aostatal endlich wieder „Skifahren nur zum Spaß“ werden – ohne Handy, ohne viel Fotografieren, ohne schnell wieder irgendwo sein zu müssen, ohne Arbeit. Mission Erholung. Der einzige Programmpunkt, der fix eingeplant war: Heliskiing. War ich noch niemals zuvor aber wollte ich schon immer mal machen.

Wir packen also Ende März im frühlingshaften Oberbayern bzw. Tirol unsere sieben Sachen, laden das ganze Equipment ins Auto und düsen gen Süden. Unser Plan ist einfach: eine Woche Skifahren, danach noch einen Abstecher ans Mittelmeer. Das bedeutet aber auch, dass wir zu zweit den Golf beladen als ob wir übersiedeln würden, das Auto ist voll.

Als nach Mailand die ersten Alpengipfel auftauchen, die umso beeindruckender werden je näher wir kommen, machen sich Vorfreude und Aufregung bemerkbar. Wir verlassen die Autobahn Richtung Aosta, in Pont-Saint-Martin beginnt sich die Straße nach oben zu schrauben. Es wird wieder Winter, denn nach nicht allzu langer Zeit liegt wieder Schnee auf den schiefergedeckten Häusern, auf den Bäumen und der Straße.

Wir fahren beinahe bis zum Talschluss, unser Hotel – ja, ich sagte doch schon, dass es kein Abenteuerurlaub werden würde – befindet sich nämlich in Stafal und hört auf den bezeichnenden Namen „Nordend“. Wir würden am Weg dorthin am liebsten ständig stehen bleiben und aussteigen zum Fotografieren, unglaublich wie die Berge in der Abendstimmung leuchten! Glücklicherweise wird’s aber dunkel, so kommen wir doch einigermaßen voran.

Das Tal wirkt rau und wild, sehr ursprünglich und archaisch mit den Steinhäusern und den riesigen Findlingen, die überall herumliegen, in die teilweise sogar Häuser gebaut wurden. Die Sprache der Beschilderung wechselt: Während zuerst Italienisch und Französisch vorherrschen, wechselt die „Zweitsprache“ ziemlich abrupt zu Deutsch. Außerdem sieht man links und rechts der Straße alte Lawinenabgänge unterschiedlicher Dimensionen – also auch richtig heftige Nassschneelawinen, die bis zum Grund durchgerissen sind und alles mitgenommen haben, was in ihrer Bahn bergab lag. Bäume und Felsbrocken liegen herum als ob Riesen damit gespielt hätten, ich muss an Gullivers Reisen denken.

Unsere Unterkunft ist kein 5-Sterne-Pallast, hat aber ein paar eindeutige Pluspunkte:
1. befindet sich das Hotel Nordend direkt an den Talstationen der Lifte ins Stafal-Gebiet und auf der anderen Talseite nach Gabiet-Passo di Salati. Man kann also spontan in der Früh entscheiden, ob es Richtung Champoluc oder doch nach Alagna gehen soll.
2. ist im Zimmerpreis bzw. dem Package, das wir gebucht haben, die Liftkarte enthalten. Trotz totalen Tourifeelings kein „Wir haben doch bezahlt!“ bei uns. Sehr gut.
3. lässt sich direkt vor dem Hoteleingang am Nachmittag hervorragend im Liegestuhl der obligatorische Sundowner konsumieren.
4. befindet sich direkt nebenan das Büro von Guides Monterosa. Die sind nicht nur die erste Anlaufstelle, wenn man einen Bergführer sucht, sondern auch der lokale Heliskiing-Anbieter. Und das nicht nur in Gressoney: Auch Courmayeur, Valgrisenche, Formazza, La Thuile, Livigno, Madesimo und Valmalenco gehören zum Programm.
5. kocht direkt neben dem Hotel Giovanni in seinem Restaurant. Untertags erinnert es an schnelle Küche und Bistro – wobei die Spaghetti Bolognese wirklich immer ein Gedicht sind! Am Abend dreht er aber so richtig auf und zeigt auch gerne, was die lokale bzw. die italienische Küche zu bieten hat. Tipp: Als Gruppe empfiehlt es sich, grob ein Menü für x Personen zu bestellen und Giovanni die Details zu überlassen. Wer Lust hat, kann sich nach dem Schlemmen dann auch gerne ihm und seiner Tochter für eine spätabendliche Verdauungsskitour anschließen…

Mit direktem Blick von unserem Zimmerfenster aufs Monterosamassiv schlafen wir ein. Wir träumen von unserem Tagesrhythmus für die nächsten Tage: Ski – Eat – Sleep – Repeat… Vom essen und schlafen hab ich schon gesprochen, daher zum Essentiellen: Skifahren!

Das Skigebiet ist der Wahnsinn. Wir sind zwar aufgrund der sehr angespannten Lawinensituation deutlich mehr als erwartet auf den markierten Pisten unterwegs und deutlich weniger außerhalb, aber was solls: Slush macht auch mal Spaß, noch dazu wenn man von Alagna bis Champoluc kommt! Das Gebiet ist unglaublich weitläufig, und dank „personal guiding“ hab ich einen richtig guten Eindruck davon bekommen, was hier alles möglich ist – nämlich die komplette Bandbreite. Von wenig stressigem Neben-der-Piste-Fahren über lange Treeruns oder steile Rinnen bis zu hochalpinen Gletscherabfahrten ist da echt alles drin. Nicht umsonst schreibt sich Ski Monterosa „Freeride Paradise“ auf die Fahnen. Die entsprechenden Runs sind allerdings in keinem Pistenplan verzeichnet. Frank Henssler von den Guides Monterosa erzählt uns, dass es genau darüber auch Diskussionen gab: „Viele Leute wollten einfach nicht, dass die Freeride-Runs eingezeichnet werden, weil sie Angst hatten, dass die dann von den Touristen gestürmt werden. Irgendwie hat das Argument nicht gezogen, dass man so die Freerider auch ein wenig lenken könnte.“

Ach ja, das Highlight des Trips: Heliskiing! Die ursprüngliche Idee war eine Zermatt-Rundtour zu unternehmen. Die wurde dann aber spontan zugunsten der Abfahrt vom Rifugio Quintino Sella und einem weiteren Flug zum Ausgangspunkt der Bettolina Superiore geändert, weil: „Drüben ist heute das Wetter nicht so gut – mehr Wolken.“ Insgesamt sind wir zu acht, das bedeutet zwei Vierergruppen pro Heli und Guide. Frank fährt mit der anderen Gruppe, Daniele ist für heute unser Guide. Er kommt vom Comer See und arbeitet das ganze Jahr über als Bergführer. „Generell vermitteln wir immer einen Bergführer pro Heligruppe mit. Es gibt schon einzelne Gäste, die ihren eigenen Bergführer mitbringen, aber die sind deutlich in der Unterzahl. Ohne Guide fliegen wir auch niemanden hinauf“, erklärt uns Frank.

Wie etabliert die Guides Monterosa hier sind wird uns klar, als wir uns mit Carlo unterhalten, einem der Inhaber des Heli-Unternehmens, selbst ein extrem erfahrener Skifahrer, Bergführer und Helipilot. Er erzählt uns, dass er in diesem Rekordwinter selbst nicht mehr als 10 Skitage zusammengebracht hat: „Die Verhältnisse waren oft schwierig und jedes Mal, wenn es sich um einen kniffligen Auftrag gehandelt hat, wurde ich angerufen. Ich bin den ganzen Winter nur geflogen – und das bei diesem Schnee!“ Wir werden leider nicht dazu kommen, mit ihm zu fahren, denn er ist für Nuit de la Glisse gebucht: „Ich fliege, aber nur den Filmer. Die haben etwas vor, das ist mir zu riskant – ich will nicht der Pilot sein, der den Skifahrer fliegt.“ Auch Frank erzählt uns, dass es hier im Aostatal nie eine Diskussion gab, ob Heliskiing erlaubt sein sollte oder nicht (im Gegensatz zu Tirol, beispielsweise). Da die Gebühren für Fluglizenzen in die Gemeindekassen wandern, waren diese recht schnell vom Nutzen der Heli-Unternehmen überzeugt.

Die Einweisung für Heli-Gäste ist kurz und prägnant: Den Anweisungen des Guides Folge leisten und dort bleiben, wo er dich hinstellt wenn der Heli kommt; Ski und Stöcke ordentlich zusammenbinden; erst Einsteigen, wenn der Guide das Equipment verstaut hat; erst Aussteigen wenn der Guide die Türe vom Heli öffnet. Ich kann das erweitern: fett grinsen, wenn sich der Heli in den Wind stellt und man die beeindruckende Bergwelt mit ihren Gletschern und Gipfeln von oben sehen darf; noch fetter grinsen wenn einen der Heli irgendwo im Nirgendwo aussteigen lässt und man genau weiß, dass einen jetzt eine Menge Höhenmeter erwarten, die noch nicht zusammengeschossen sind; sich freuen, wenn einen der Heli irgendwo im Nirgendwo abholt und man nicht hinausstapfen oder –schieben muss. Ein Tipp aus persönlicher Erfahrung: Wer die Wahl hat, sollte zur Alpinbindung greifen. Fummelei mit nicht-funktionierender Pinbindung ist nicht super, nachdem einen der Heli abgesetzt hat und man abfahren möchte. Noch weniger super ist, wenn dann eine/r in der Gruppe nicht mitfahren kann sondern auf einen Heli warten muss, der ihn abholt. Kostet übrigens auch ziemlich (ca. 200€ wenn der Hubschrauber von Guides Monterosa kommt, ca. 1.000€ wenn man unverletzt den von der Mountain Rescue ruft)… Hat sich dann glücklicherweise doch noch alles in Wohlgefallen aufgelöst und wir konnten zusammen skifahren.

Die Abfahrten, die unsere Guides gewählt haben, machen absolut Lust auf Mehr: wahnsinnig beeindruckende Bergwelt mit Panoramen, Gletschern und Gipfeln; abwechslungsreiches Gelände, das von frischem Pulver nordseitig bis zu kleinen Nassschneerutschen auf der Südseite alles im Programm hatte. Dieselben Runs können je nach Lawinen- und Schneesituation bzw. Können der Gruppe gemäßigt oder steiler angelegt werden, in weiten Flanken oder durch enge Couloirs – wahrlich Freeride Paradise! Nach dem Rausschieben am Ende unserer zweiten Abfahrt gönnen wir uns das wohlverdiente Erfrischungsgetränk in Frachey. „Wer hungrig ist, sollte unbedingt die Spaghetti Carbonara essen! Das sind die besten, die du je bekommen wirst!“ schwärmt uns Daniele vor. Trotzdem ist uns eher nach Isotonischem in der Bar „Fior di Roccia“. Zu toppen war der Heli-Tag dann nicht mehr – aber das ist ja in Ordnung so.

Unterm Strich bleiben ein paar Erkenntnisse:
- Es ist nichts verkehrt mit einem richtigen Touri-Urlaub ab und zu --> www.hotelnordend.com
- „Earn your turns“ hat absolut seine Berechtigung, aber manchmal ist es auch einfach nur saugeil, den „fast way up“ zu nehmen --> www.guidemonterosa.com
- unfassbar beeindruckend sind Panorama und Berge dann, wenn du mehr Zeit beim Staunen und Fotografieren verbringen könntest als beim Skifahren
- Man kann problemlos sieben Tage (gute) Spaghetti Bolognese essen, ohne dass es fad wird --> Ristorante Bar Da Giovanni, Località Gressoney Monte Rosa, 5, 11020 Tschaval AO; Tel.: +39 0125 366157
- Wir kommen definitiv wieder nach Gressoney – es gibt so viel mehr zu fahren!

Und mir bleibt noch ein fettes DANKE! an Veit von Aeroski Reisen auszusprechen: Dafür, dass er unseren höchstpersönlichen Fremdenführer gespielt und die Gipfel nicht nur benannt, sondern mit Anekdoten und Erlebnissen verbunden hat!

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