Quingap, Naujanguit und Qajuta

Von Stephane Godin am 22.Nov. 2015

Quingap, Naujanguit und Qajuta. Klingt wie die Leseversuche beim verzweifelten Versuch im betrunkenen Zustand ein Bahnticket zu kaufen. Alle drei Begriffe sind Berge im Nuuk Fjords, Grönland. Der französische Fotograf Stéphane Godin hat sich gemeinsam mit den Skifahrern Richard Amacker, Nicolas Boidevezi, Thibaud Duchosal und Phil Meier und der Snowboarderin Anne-Flore Marxer einen Kindheitstraum erfüllt: Mit dem Segelboot im Westen Grönlands herum schippern, die schönsten Berge befahren und dies mit seiner Kamera festhalten. Stéphane nimmt euch mit auf seine Bootsreise auf der „Louise“.

 April 2014, endlich! Wir kommen in Nuuk an, der Hauptstadt Grönlands. Mein Kindheitstraum wird Realität. Die nächsten neun Tage werden wir auf der „Louise“, einem polaren Segelschiff verbringen, inmitten von Schnee, Eis und in einem Fjord. Die große weiße Insel, eine atemberaubend schöne Landschaft, traumhaftes Fotolicht und wir haben Glück: frischer, weicher Pulverschnee ab dem ersten Tag.

Nuuk begrüßt uns mit einem Schneesturm, große Schneeflocken fallen vom Himmel. Grönland ist keine offensichtliche Destination für einen Skiausflug. Ein kleiner Seillift ist alles, was es auf der gesamten Insel an Ski-Infrastruktur zu bestaunen gibt.

Thierry Dubois, der Kapitän der Louise, begrüßt uns auf unserem schwimmendem Heim für die nächsten neun Tage. Da Heli-Skiing gerade kurzfristig doch nicht mit unserem Budget vereinbar ist, entscheiden wir uns die „Segeln and Skitouren“ Variante durchzuziehen. Grönland ist rund sechsmal größer als Deutschland. Die gesamten 56.000 Einwohner der Insel hätten dabei wohl in den meisten der bundesdeutschen Bundesliga-Fußballstadien einen Sitzplatz. Bierbecher und Currywurst inklusive. Wir verlassen die Hauptstadt und schippern in den einsamen Nuuk-Fjord.

Ein Bootstrip in einer solchen abgelegenen Region erfordert einiges an Planung. Was nicht auf den 19 Metern Segelschiff mit an Bord ist, hat man nicht dabei. Außer Salzwasser, Eisberge, Schnee und vielleicht ein paar Eisbären gibt es hier draußen nicht viel. Wir sind zehn Personen, 19 Meter Holz, zusammengehalten von Epoxidharz, irgendwo im Westen Grönlands und haben hoffentlich alles Lebensnotwendige eingepackt und die Schwimmwesten griffbereit. Das Abenteuer kann beginnen.

Nup Kangerdlua, Umanap Sucdlua, Qornup Suvdlua

Hat man erstmals die mühsame Anreise nach Grönland überstanden, einen vertrauenswürdigen und erfahrenen Kapitän mit Schiff auf seiner Seite, dann ist skibares Gelände im Nuuk Fjord recht einfach zu finden. Im Gegensatz zum Inneren der Insel muss man hier im Fjord nicht erst eine 3000 Meter dicke Gletscherschicht überwinden. Der Nuuk Fjord erstreckt sich über 160 Kilometer und besteht aus den drei Haupt-Fjordarmen Nup Kangerdlua, Umanap Sucdlua und Qornup Suvdlua. Zwischen den einzelnen Armen befinden sich mehrere Inseln mit Bergen bis zu rund 1700 Meter Höhe.

1700 Meter klingt nach vergleichsweise kleinen Hügeln, nimmt man einen alpinen Maßstab. Da wir aber von exakt 0 m über dem Meeresspiegel starten, ist – nehmen wir es Mathematisch ganz korrekt – jeder Höhenmeter ein Höhenmeter, den man mit Ski bergauf gehen und bergab fahren kann.

Unser heutiges Ziel ist ein unbenannter Berg mit 1105 Meter Höhe. Aliette, die zweite Schiffsführerin, schifft uns mit dem motorisierten Begleitboot an Land und wir können unsere ersten Schritte in der Bucht von Itissoq machen. Die Nordost-Seite verspricht weichen Pulverschnee. Wir starten um 8 Uhr morgens, drei Stunden benötigen wir für den Aufstieg. Der Blick von hier oben ist unbeschreiblich. Der helle Schnee kontrastiert mit dem dunklen Meerwasser in den drei Seitenarmen des Fjords. Die einzige Spur von Zivilisation, die wir hier sehen, ist unser Segelschiff und unsere eigene Aufstiegsspur. Der Schnee ist weich und pulvrig und gerade so viel, dass wir in den Schwebezustand geraten. Und es ist gerade nicht zu viel, dass der Aufstieg nicht allzu anstrengend war.

Unser Tagesablauf ist ziemlich simpel. Aufstehen, Frühstücken, einen Anlandeplatz suchen, Skitouren gehen, Fotos machen, abfahren, gemeinsam Abendessen kochen und dabei die Location für den nächsten Tag aussuchen. Mit einem erfahrenen Guide und ruhiger See fast einfacher als Sonntagsnachmittags einen Familienspaziergang zu unternehmen.

Thierry erweist sich dabei als zuverlässiger Tippgeber, er kennt die Region und die Träume von uns Skifahrern wie kaum ein anderer. Es ist sein vierteres Jahr hier im Westen Grönlands. Nach dem Abendessen scouten wir mit Ferngläsern unsere Tour für den nächsten Tag.

Qajuta

Die Bucht von Qorqut sieht vielversprechend aus, wir entscheiden uns für den Sattel, knapp unterhalb des 1250 Meter hohen Gipfels Qajuta. Der Schlussanstieg ist zu steil und zu eisig heute, um den Gipfel zu erreichen. Für unser geplantes Sunset-Shooting müssen wir die Eisgeräte und Steigeisen nicht auspacken, wir lassen den Gipfel also Gipfel sein.

Unser erster Schlechtwettertag gibt uns Zeit für einen Einblick in die Grönländische Kultur. Wir besuchen Kapisilik, ein kleines Fischerdorf in einer geschützten Bucht. Nach den vergangenen Tagen im einsamen Fjord ist es ein spannendes Gefühl solch einen abgelegenen, bewohnten Ort zu besuchen. Das Touristenprogramm hier sieht auch für uns den Besuch des Inlandeises Kangiata Nunâta Sermia vor. Der Gletscher kalbt hier von Zeit zu Zeit in großen Eisbrocken ins arktische Meer. Wir dagegen bewaffnen uns mit einem 6‘5er Kaliber. Die neugierigen Eisbären könnten etwas zu neugierig auf uns werden, die Gewehre sind eine reine Vorsichtsmaßnahme für unser Wohlbefinden. Eisbärenjagd ist ohnehin nur außerhalb des Nationalparks erlaubt, das Schießen von Jungtieren und weiblichen Eisbären ist generell verboten.

Naujanguit

Die Sonne ist uns gnädig gestimmt. Wir dürfen erneut das flache arktische Licht genießen und machen uns auf zur Insel Storo. Die Nordwand des Naujanguit ist unser gewähltes Ziel für den heutigen Tag. 950 Höhenmeter hochstapfen, 950 Meter hinunterfahren. Zu unserer Überraschung gesellen sich in direkter Nähe unseres Sammelpunkts am Meer einige Eisberge. Der Wind hat sie den Fjord entlang getrieben, die „Louise“ muss Slalom fahren zwischen ihnen. Bei näherer Betrachtung dieser Berge aus blau schimmerndem Eis stellt Thierry fest, dass einige davon begehbar wäre. Wer war schon mal auf einem Eisberg rumalbern?! Wir!

Quingap  und der Farbenorgasmus

Quingap, mit seinen 1616 Metern der höchste Gipfel der Storo Insel, winkt uns schon von weitem zu. Back to business. Der Fotograf in mir besteht auf einen letzten Sunset-Shot. Die Fahrer wollen einen steileren hang befahren – hier am Quingap sehen wir eine gute Chance, dass sich unsere Wünsche ergänzen.

Unser Tagesplan erlaubt uns langes Ausschlafen und einen späten Tourenstart. Das Licht kommt ohnehin erst spät in den zuvor besichtigten Hang, glänzt dafür umso majestätischer in leuchtenden Rot-, Pink- und Orangetönen, ein wahres Farbenfeuerwerk. Wir bereiten uns gemütlich vor, die Louise bringt sich noch eben vor den Eisbergen in Sicherheit und wir lassen uns vom Beiboot direkt in knietiefen Pulverschnee absetzen. Der heutige Aufstieg ist steiler. Eisgeräte, Seil und weiteres Kletterequipment beschweren daher unsere Rucksäcke. Im tiefen Schnee wechseln wir uns mit der Spurarbeit ab. Schritt für Schritt erklimmen wir die Wand, der Blick geht immer weiter gen Horizont, die Louise ist bald nurmehr ein kleiner glitzernder Punkt im tiefblauen Ozean. Das Farbenspektakel wird von Minute zu Minute intensiver.

Wir machen einige Bilder beim Aufstieg, entscheiden aber bis ganz zum Gipfel zu gehen, da das Licht nur noch epischer wird. Unser Fotohang taucht sich allmählich in einen pinken Farborgasmus. Das sind die Momente, von denen jeder Skifahrer und besonders ich als Fotograf träume. Der Schnee ist pulvrig, die Fahrer motiviert, die Aussicht sensationell. Hier spielt alles nahezu perfekt zusammen: Der Schnee, das Licht und ein wunderschöner, langer und steiler Hang. Phil und Thibaud genießen ihre Steilabfahrt mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages. Müde nach sechs Stunden Aufstieg, aber glücklich, kommen wir um 22.30 Uhr auf unseren schwimmenden 19 Metern Heimat an. Die arktische Nacht ist gerade am hereinbrechen und taucht alles um uns herum in einen leuchtenden Blauschimmer.

Wir haben die Berge Quingap, Naujanguit und Qajuta befahren. In schönem Schnee und bei gutem Wetter, in Grönland. Was für ein tolles Abenteuer, was für eine herausragende Erfahrung.

 

Tipps

Anreise: Flug von Kopenhagen mit Air Greenland nach Kangerlussuaq. Weiterflug nach Nuuk. Kosten etwa 1200.- Euro.

Reise: Mit Englisch kommt man überall durch, zwei Geldautomaten in Nuuk, Kreditkarten werden weitestgehend akzeptiert. Reisepass oder Personalausweis genügen für Europäer, Grönland ist Teil Dänemarks.

Reisezeit: April bis Mitte Mai

Unsere Unterkunft: www.hhe.gl/forside/ www.lalouise.fr

Generelle Informationen: www.greenland.com www.greenland-guide.gl/en/default.htm

 

Zur Website des Fotografen: www.stephane-godin.com
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