Ein Land, viele Gesichter - Libanon

Von Marius Schwager am 25.Feb. 2015

„Aber dort ist doch Krieg!". Die politische Lage im Libanon ist turbulent. Die Meinung von Freunden und der Öffentlichkeit ist klar negativ besetzt. Ein Bild von einem eingeschneiten Sessellift geht durch die Medien, die Berge reichen bis auf 3000 Meter. Wir träumen vom Skifahren unter der Sonne Arabiens. Unser Skireisefieber ist entfacht.



Die arabische Sonne knallt, der Schnee verwandelt sich in Bilderbuch-Firn. Ein Snowmobilfahrer sieht uns beim Starten zum viertelstündigen Aufstieg. Taxiservice unter Sportsmännern ist ihm eine Ehrensache. Ein prächtiger Zedernwald, dünenartiges Hügelgelände, von weitem blinzt das Mittelmeer. Ein satter 1000 Höhenmeter Hang lacht uns an, gleichmäßig eben wie ein Bügelbrett mit einigen optionalen Felsen und Wannen zum Spaß haben links und rechts der Hauptlinie. Bestes, genussvolles Freeridegelände. Es ist unsere letzte Abfahrt nach zwei Wochen Skireise in Arabien.

Alle sind offen und herzlich zu uns. Die Menschen versprühen eine Herzlichkeit geballt auf wenige Stunden wie wir es sonst nicht in einer ganzen Skisaison in den Alpen erleben. Die Libanesen lieben es, dass wir ihr Land besuchen, wo wir auch zuhause die Skiberge vor der Haustüre haben. Max Forster, ein Studienfreund, Verena Fendl, Teresa Brenner, zwei weitere Wahlinnsbrucker Studenten und Minos Eigenheer, Snowboardlehrer und Filmer aus der Schweiz begleiten mich. Wir wollen in eine uns fremde Kultur eintauchen, die Menschen hinter den Medienberichten erfahren. Und natürlich unsere Skispuren im arabischen Schnee hinterlassen. Ein Kulturabenteuer mit Ski im Gepäck.

Libanon – ein Land, viele Gesichter
Libanon liegt am östlichen Mittelmeer, nördlich von Israel und umringt von Syrien. Nicht nur wegen seiner laxen Steuergesetze und der liberalen Einstellung wird das Land als Schweiz des Nahen Ostens betitelt. Der Libanon, seine Kultur, die Menschen und das Reisen dorthin sind vielschichtig. Party in Beirut-Zentrum, Reisewarnungen für die Vororte.

Das Leben in Zentral-Libanon und insbesondere Beirut, der Hauptstadt des Landes, prosperiert. Hier im zentralen Teil des Landes liegen auch fast alle der hohen Bergen. Direkt vom Mittelmeer ragen Berge bis knapp über 3000müNN hinauf und bilden die Basis für den Wintersport.

Je nach Finanzlage werden vier bis ein Dutzend Skigebiete betrieben. Das größte und modernste Gebiet des Landes ist Mzaar-Kfardebian und liegt nur 45 Autominuten vom Stadtkern Beiruts und dem Mittelmeer entfernt. Die Saison reicht vom Dezember bis meist in den April. Morgens Skifahren, nachmittags im angenehm temperierten Mittelmeer planschen, ist hier so einfach wie wohl nirgends sonst. Sehen und gesehen werden ist das Motto für die meisten Wintersportaspiranten.


„Leb so als wäre es dein letzter Tag"
In den Bergen regnet es 2 Tage ununterbrochen. Wir tauchen ein ins Beiruter Nachtleben. Frauen zwängen sich in enge Kleider und High Heels. Bei unseren frischen Bekanntschaften feiern wir über den Dächern Beiruts auf Privatparties und streunen durch die vielen kleinen Clubs und Bars. Ausgehen in Beirut ist, und das ist das erstaunliche für uns, nicht viel anders als in Berlin. Der einzige Unterschied zum Ausgehen zuhause: Die Partymeute ist etwas besser angezogen und kontaktfreudiger.

Die Menschen im Libanon lieben es extrovertiert. Sie leben schnell und feiern exzessiv. „Leb so als wäre es dein letzter Tag" ist bei vielen das Lebensmotto. Diese Einstellung hat Geschichte und Hintergrund. Der Libanon ist wirtschaftliches Ballungszentrum und ein politisches Pulverfass in einem. Immer wieder entladen sich die Spannungen in kriegerischen Auseinandersetzungen. Die ethnische Vielfalt und Zersplitterung ist oft Ursache für die Konflikte.

Bomben in Beirut, Skifreude am Berg
Eisiger Panzerschnee. Wir warten am zweiten Skitag bis es auffirnt und erkunden bis dahin das Skigebiet von Mzaar. „You are not from Lebanon" schreit es aus dem Lift. Mit unserer bunten Funktionskleidung und dem sicher-lockeren Umherschwingen fallen wir in der illustren Gesellschaft deutlich auf. Eine Gruppe junger Snowboarder hat uns entdeckt. Mit ihrer offenen, herzlichen Art begeistern uns Ali, Ziad, Lubna und ihre Crew beim gemeinsamen Cruisen. Die Gruppe sticht ebenso durch ihren sicheren Fahrstil und die modernen westlichen Snowboardoutfits aus der Menge heraus, lässig weiter Schnitt und bunte Knallfarben. Die meisten Gäste des Skigebiets fallen ansonsten eher in Jeans und 80er Jahre Leihausrüstung den Hang hinunter. Ein anderer Teil sonnt sich im neuesten Gucci und Prada-Outfit.

Wir werden herzlich empfangen, Konkurrenz um Firstlines existiert hier nicht. Später, wenn die Sonne ihn aufgefirnt hat, müssen wir mit ihnen ihren Signature Run fahren, unbedingt. Außer ihnen fährt hier sonst niemand regelmäßig. Vom höchsten Punkt des Skigebiets dem Dome du Mzaar (2465m) führen einladende Flanken hinab, ideal für anspruchsvolles Freeriden. Perfekter Run, High Fives. Die Stimmung ist ausgelassen, das Grinsen ist jedem einzelnen wie ins Gesicht gemeißelt. Gruppenbild mit unseren neuen Freunden, dahinter eine Hausruine mit zahlreichen Einschusslöchern. Das Nachbarhaus auf der anderen Straßenseite ist vom Munitionshagel gleich komplett zersiebt.

Apres-Bier in der libanesischen Skibum-Wohnung, Geschichten von Skiabenteuern rund um den Globus gehen die Runde. Freeriden, im Krieg zerschossene Dörfer, Luxusvillen. Wir haben noch gar nicht verstanden was wir gerade gesehen haben. Vor den Kriegen war ein privates Skigebiet in Planung erklärt uns die Gruppe und ist dann während dem Bau zwischen die Fronten geraten.

Ein Stück weiter talauswärts in Faqra gelingt aktuell das Projekt „Gated Luxus-Community mit Skigebietsoption" scheinbar. Die Berge sollen Sicherheit vor den möglichen Unruhen im Beiruter Becken bieten. Skivergnügen inklusive. Wir schauen verdutzt. „Skifahren im Krieg also?", fragen wir Ali. „Ja!" Dies sei im Libanon nichts Besonderes. Auch sein Vater war während der Kriege in Mzaar auf den Skipisten am optimalen Schwung feilen. Bomben in Beirut, Skifreude am Berg. Wir müssen weiter. „Genießt euer Leben heute, so wie es ist!" gibt uns Ali mit auf den Weg. „Das ist Libanon!"



Die Zedern Gottes und das heilige Tal
Etwa 1,5 Autostunden nördlich von Beirut befindet sich das höchstgelegene Skigebiet des Libanons. „The Cedars" liegt in einem großen Bergkessel am Talende, eingerahmt von zwei Hochplateaus auf denen die höchsten hügelartigen Erhebungen des Landes gerade so die 3000m-Marke knacken. Die Zedern, die namensgebende Baumart sind das Wahrzeichen Libanons. Zu antiken Zeiten waren sie begehrte Tauschgrundlage zwischen den Hochkulturen der Assyrer, Perser, Phönizier, Ägypter und Römer.

Natürliche Höhlen im tief eingeschnitten Quadisha Tal boten hier den ersten Christen Schutz vor religiösen Säuberungen. Auf rund 1500m öffnet sich das Tal. Zwei Sessel und zwei Schlepplifte erschließen zwischen 2000 und knapp 2800 Meter einen sich aufsteilenden Hang. Mit 3088m ist der Qurnat as-Sauda der höchste Berg des Libanon und ab der Liftstation mit einer zweistündigen Wanderung zu erreichen. Niederschlag hat die Gebirgsregion im zentralen Libanon im Winter mehr als ausreichend, Schnee ebenso. Wirklichen Pulverschnee findet man aber nur selten. Oft peitscht der Wind vom Mittelmeer orkanartig über die hügelartige Hochlandschaft. Mit der Kraft der hier im Süden hoch stehenden Sonne, finden Freerider hier oft genussvolle Firnhänge.

Auf der anderen Talseite lacht uns ein Hang an. Etwa 800 Höhenmeter mächtig, das obere Drittel steil und felsdurchsetzt, nach unten hin flach auslaufend hin zu einigen Dörfern. Vom Skigebietsparkplatz ab ziehen wir die Felle auf und steigen entlang einer überschneiten Passstraße zu einem Joch auf. In einem weiten Halbkreis zieht sich der Aufstieg auf einem flachen Rücken schließlich entlang. Die Bergekette in der Ferne markiert die Grenze zu Syrien.

Crème Brûlée zum romantischen Sonnenuntergang
Distanzen sind nur schwer einschätzbar in dem schneedünenartigen Hügelland. Aus geplant zwei Stunden sind acht Stunden Wanderung geworden. Zum Sonnenuntergang erreichen wir unseren Einfahrtspunkt. Das Licht könnte romantischer nicht sein, der Schnee im Hang dagegen verlangt alle Konzentration von uns. Das obere 45° Stück rattern wir auf der überfrorenen Eiskruste wie auf Eiern. Unten im Hang geht die Misere fließend in Crème Brûlée über – Knochenbrecherschnee.

Dank der ausgedehnten Sunset-Fotosession leuchtet uns nur mehr der Vollmond den Weg. Über Weinplantagen mit zahllosen Mauern und Umwegen und kleine Canyons treffen wir endlich auf eine Straße und ein fast unbewohntes Bergdorf. In einem Haus brennt Licht, wir klingeln. Wir müssen herausfinden wo wir sind, damit uns unser Taxi zurück ins Hostel bringt. Ein verdutzter älterer Herr öffnet die Tür. Bunte Outdoorbekleidung, Freerideski, Helm, Skibrille, das übliche für uns alpinen Mitteleuropäer auf meiner Seite des Türspalts. Auf der anderen Seite ein libanesischer Bergbauer, Barfuß und in Feinrippunterhemd. Eine beiderseits verwunderliche Situation, die erstmal verarbeitet werden will.

Klar, das Taxi ruft man uns hierher. Aber erst nachdem unsere Gruppe sich zur Familie setzt und Tee und Cafe teilt. Die überschwängliche Gastfreundschaft und Lebensfreude überrollt uns. In der Mitte des einzigen beheizten Raums ein Ofen. Darum herum einige betagte Klappsofas, die hastig in Sitzmodus gebracht werden. Rote Perserteppiche am Boden, kahle unverputzte Wände. Links hinten wird uns in Windeseile auf dem gasbetriebenen Herd ein arabischer Cafe aufgesetzt. Kaffeearoma füllt den Raum. Wir müssen natürlich alles von unserer Geschichte erzählen, was wir machen, um diese Uhrzeit, in dieser Kälte.

Das Pulverfass im Pulverschnee
Zurück zuhause, die alpine Frühlingsskisaison ist in vollem Gange, sortiere ich einige Bilder unserer Reise. Der Newsticker der Onlinezeitung blinkt auf: „Libanon: Raketenexplosionen in Beirut". Ich kontaktiere einen Freund in Beirut. Er beruhigt mich, „Alles in Ordnung", die Bomben explodierten in einem der Vororte Beiruts. „Macht euch nicht so viele Gedanken. Genießt euer Leben und kommt nächste Saison auf jeden Fall wieder zum Skifahren!"

Einmal erneut zeigt sich, das Gleichgewicht des Zusammenlebens im Libanon ist höchst labil. Der politisch-religiöse Druck ist gespannt wie bei einem Bogen. Dem gegenüber stehen Toleranz und gegenseitiger Respekt. Libanesischer Sanftmut und Lebensfreude machen sogar das scheinbar unmögliche möglich: Skifahren im Krieg, Ausdruck der einzigartigen Lebenseinstellung der Libanesen. Party in der Stadt und auf den Skipisten, Bomben und Terror in greifbarer Nähe. Ein libanesisches Sprichwort sagt: „Betrachte die Welt als würdest du für immer leben, und für dein Ende, lebe so als würdest du morgen sterben".



Informationen

Skifahren unter der Sonne Arabiens. Was recht verrückt klingt, ist für einen kleinen Teil der arabischen Oberschicht ein beliebtes Luxusvergnügen und auch Freerider und Tourengeher finden ansprechende Berge. Morgens skifahren und nachmittags im wohltemperierten Mittelmeer bei Cocktails sonnen, ist nur an wenigen Orten so einfach zu realisieren wie im Libanon.

Skigebiete
Im Libanon gibt es derzeit sechs Skigebiete. Das größte und modernste Gebiet des Landes ist Mzaar-Kfardebian und nur 45 Autominuten von Beiruter Stadtzentrum entfernt. Knapp 20 Skilifte, meist älterer Bauart und etwa 80 Pistenkilometer bieten ansprechendes Skivergnügen. Die beste Übersicht über die Skigebiete und eine große Auswahl an Hotels findet man unter www.skileb.com.

Freeride
Das Gelände in Mzaar ist eher hügelig, bietet aber einige angenehme und offensichtliche Varianten im Skigebiet. Von der Bergstation am Dome du Mzaar winken satte Freeridehänge. Bei den Einheimischen (Republic of Snowboarding) um Rat und Tipps zum Taxiservice fragen. Im weiten Kessel von The Cedars bieten die Hänge bis zu 1000 Meter Höhenunterschied und sind vom Skigebietsparkplatz offensichtlich.

Unterkünfte
In Mzaar-Kfardebian gibt es von einfachen Gruppenzimmern (ab ca. 35.- Euro) bis zum 5-Sterne-Luxushotel mit Hoteleigenem Lift alles was das Herz begehrt. In den anderen, kleineren Skigebieten ist die Auswahl begrenzt. Weitere geöffnete Unterkünfte (nicht alle sind ständig in Betrieb) sucht man am besten vor Ort.

Tipps
Mzaar-Kfardebian: Hotel Aux Cimes du Mzaar, hochwertiges Hotel direkt an den Skipisten, zuvorkommender Service, Schneemobilverleih und Sonnenterasse mit Skigebietsblick
The Cedars: Tiger House Hostel, günstige, einfache private Unterkunft, dafür mit hausgemachtem libanesischem Essen und optionalem Taxiservice.

Anreise
Libanon liegt am östlichen Mittelmeer und nördlich von Israel. Die Anreise erfolgt am besten per Flugzeug ab ca. 200.- Euro z.b. mit Pegasus Airlines ab München. Von den meisten deutschen Flughäfen gehen Flüge nach Istanbul, dort umsteigen nach Beirut,. Die beste Reisezeit ist Januar bis März.

Transport
Öffentlicher Transport ist weitestgehend möglich, erfordert aber viel Kommunikation, da die Informationslage sehr schlecht ist. Öffentliche und private Busse bedienen auch die ländlichen Strecken und führen zu den meisten Skigebieten. Taxis und Preise am besten im Voraus verhandeln, Informationen zu den Taxidiensten bekommt man in Unterkünften. Preis Taxifahrt Beirut-City bis Mzaar ca. 50-60 USD pro Taxifahrt einfach. In kleiner Gruppe und in Skigebietsnähe funktioniert Hitchhiken recht gut.

Geld
Bezahlt wird vor Ort mit USD oder Libanesischem Pfund (fester Wechselkurs). Kreditkarten werden fast überall akzeptiert, Bezahlung mit Euro ist teilweise auch möglich. Touristenvisa (Gültigkeit 1 Monat) werden für Mitteleuropäer direkt am Flughafen ausgestellt. Wichtig: Im Reisepass darf kein israelisches Visum vermerkt sein!)

Reisewarnungen
Die Skigebiete liegen alle im relativ sicheren zentralen Teil Libanons. Unbedingt die aktuelle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes und der Botschaften einholen und beachten.

Ausgehen
Zum Feiern empfehlen sich die Beiruter Bezirke Gemmayzeh und Hamra. Alle Lokalitäten sind auf mitteleuropäischem Standard. Internationales Renommee besitzen die Clubs BO18 und die Sky Bar www.sky-bar.com (lange Wartelisten!).
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