Allein auf Skitour

Von Lukas Ruetz am 17.Feb. 2016

Lukas Ruetz ist leidenschaftlicher Skitourengeher. Er geht mit Vorliebe alleine auf Tour, meist nur in Begleitung seiner Hündin. Was in den Massenmedien und unter Hobbysportlern heutzutage gerne als risikohaft, "unglaublich blöde" oder "egoistisch" angesehen wird, ist für ihn, und viele andere Bergenthusiasten Alltag. Lukas entführt uns in seine Gedankenwelt und zeigt, warum er gerne auch alleine in die Berge und in den Schnee geht, ohne Netz und doppelten Boden.

„Allein am Berg“ klingt für die meisten wohl nach Einsamkeit und Verlassenheit, für andere eventuell nach Egoismus, wiederum andere verbinden es mit „Außenseitertum“. Jeder Aspekt ist Teil einer persönlichen Präferenz im Bergsport, der nur wenige fröhnen: Nur mit sich und seinen Gedanken unterwegs zu sein. Ich gehe pro Saison an die hundert Skitouren ohne Begleitung – sofern man einen Hund nicht dazu zählen will. Jede Medaille hat zwei Seiten,  mancher erkennt die ebenfalls vorhandenen Sonnenseiten der einsamen Bergsportlerei vielleicht erst bei näherer Betrachtung:

„Ein Hauptstudium der Jugend sollte sein, die Einsamkeit ertragen lernen, weil sie eine Quelle des Glücks und der Gemütsruhe ist.“

Dieses Zitat von Arthur Schopenhauer beschreibt treffend das wohl schlagkräftigste Argument, alleine unterwegs zu sein: Die innere Ruhe, die man in den teils trance-artigen Zuständen im Aufstieg erfährt, kenne ich sonst von keiner Tätigkeit. Man hat Zeit zum Nachdenken, die man sich im Alltag selten nimmt. Es tauchen immer wieder Gedankenfetzen der vorigen Tage oder Wochen auf, die (meistens aus zeitlichen Gründen) beiseite geschoben wurden und nicht zu Ende gedacht werden konnten. Man kann sich gedanklich ordnen, kommt auf neue Ideen, schließt mit anderen ab. Ich finde es immer wieder erstaunlich, was einem so alles in dieser Zeit in den Sinn kommt. Vom völligen Irrsinn bis zu höchst interessanten Ansätzen – egal zu welcher Thematik. Einsam ist man dabei übrigens nur, wenn man sich einsam fühlt.

Ist man konditionell auf einem entsprechenden Niveau (Anm. d. Red.: in diesem Kontext bedeutet diese eine gewissen Bewegung auf längere Dauer gleichmässig auszuführen), gibt es auch das sogenannte „Runner‘s-High“, das für mich nur auf Solo-Bergtouren erlebbar ist. Man kann meiner Meinung nach zu zweit oder in einer Gruppe gedanklich nicht soweit abschalten und genau sein Tempo gehen, um diesen euphorischen Zustand zu erreichen.

Alleine und das Risiko
Risikominimierung ist bei allen meinen Touren der wesentlichste Teil in der Planung. Ich spreche dabei lieber von „Risikooptimierung“ – weil es sich dabei nur teilweise um eine Reduktion handelt. Man geht nicht immer (oder nur ich?) das denkbar niedrigste Risiko ein, oft aufgrund der Tagesverfassung, die die Risikobereitschaft wesentlich beeinflusst. Wichtig ist, dass man sich des eingegangenen Risikos bewusst wird und für sich abwägt. Ist man sich eines hohen Risikos bewusst, ist es für mich wenigerschlimm als sich des Risikos nicht bewusst zu sein und eigentlich nicht genau zu wissen, worauf man sich einlässt – die Situation völlig falsch einschätzt (egal, in welche Richtung). Leider beobachte ich das falsche Einschätzen oder das „Gar-nicht-Einschätzen“ viel zu oft - und wenn diese Personen noch unbelehrbar sind, sind sie für mich als Tourenpartner gestorben.

Risiko ist bekanntlich das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit x Schadensausmaß. Die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Lawine (wohl der Hauptdiskussionsgrund bezüglich dem „allein unterwegs sein“)  ist individuell verschieden. Das kommt auf die Risikobereitschaft der Person im Alleinzustand, der Begleitperson und die Risikobereitschaft der beiden im Verbund an. In der Gruppe ist sie meiner Meinung nach eher größer, da immer ein gewisser Gruppenzwang herrscht, egal wie man es schönredet. Man möchte dem Begleiter nicht den schönen Hang bzw. den schönen Tag nehmen. Das heißt, die Eintrittswahrscheinlichkeit ist nicht verallgemeinerbar. Das Schadensausmaß hingegen fällt, der Wahrscheinlichkeitsrechnung nach, in der Gruppe geringer aus: Die Tatsache, dass es unwahrscheinlich (beim einzelnen Befahren von steilen Hängen) ist, dass beide bzw. alle einer Gruppe verschüttet werden, stellt das Hauptargument gegen Single-Touren im Winter dar. Die Kameradenrettung ist nach wie vor praktisch der einzige Weg eine Totalverschüttung zu überleben und so das „Schadensausmaß zu verringern“. Alleine hat man die schlechtesten Karten in einer Lawine – Punkt.

Ich glaube aber, nur alleine unterwegs zu sein, verändert jeden Menschen ins Negative. Man schafft sich eine eigene (falsche) „Realität“ – man wird realitätsfremd. Deshalb ist die Einsamkeit ein guter Ort zum Besuchen, aber ein schlechter Ort, um zu bleiben. Einer meiner engsten Tourenkollegen pflegt immer zu sagen: „Bergfreundschaften sind Freundschaften für’s Leben.“ Was einen bei einer Bergtour verbindet, kann man im „zivilen“ Leben kaum oder nur langsam erfahren. Das gegenseitige Rücksicht nehmen, die gemeinsame Freude an den landschaftlichen Schönheiten, das Bewusstsein, der andere ist für mich da, wenn etwas passieren sollte, das gegenseitige Gut-zureden und gemeinsame Lösungen finden bei (eigentlich ungeplanten) „haarigen“ Aktionen.

Der Berg ist einer unserer letzten Freiräume. Hier liegt es zum Glück (meistens) in unserer eigenen Verantwortung, die Konsequenzen unserer Entscheidungen zu tragen – im positiven wie negativen Sinn. Alleingänger sind selten „Wahnsinnige“ – wir wissen sehr genau, worauf wir uns einlassen und ich denke, die meisten hängen deswegen nicht weniger an ihrem Leben.

Am Ende liegt es in der Hand jedes einzelnen, ob man allein unterwegs sein möchte. Es gibt Argumente für die „einsame“ Bergsportlerei (zeitliche und technische Abstimmung, Ruhe finden, Runner’s High, Individualismus, Egoismus) und für die gemeinsame Ausübung (Kameradschaft, Freundschaft, Hilfestellung und -leistung) unser aller Leidenschaft.

Eines sollte man – egal ob allein unterwegs oder nicht - trotzdem NIE vergessen: Unsere Entscheidungen betreffen nicht nur uns, sondern auch die Menschen, die auf uns warten, von denen wir geliebt werden.
Man gehört nicht nur sich selbst.


Mehr von Lukas: www.lukasruetz.at

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