Tripreport: Sölden

Tripreport: Sölden

Von Ralf Jirgens am 5.Feb. 2020

Seit Jahren gehen wir – das sind im größeren Kreis sechs bis sieben Freunde – einmal im Jahr zum „Freeriden“. Jedes Jahr ist jemand anders aus der Gruppe für die Orga zuständig. Und natürlich standen schon alle großen und bekannten Skigebiete der Alpen auf dem Programm. Von daher war die Aufgabe, die mir letzten Winter zuteil wurde, gar nicht so einfach. Erste Gedanken kreisten um Gudauri oder Livigno, dann kam aber – wie jedes Jahr - die ISPO und die Vorbereitungszeit schmolz mir durch die Finger wie Schnee im Mai. Es musste ne schnelle, unkomplizierte aber massiv beeindruckende Lösung her!

Beim Durchstöbern der alten „Bergstolz Insider“ kam mir dann Sölden unter. Schnell erinnerte ich mich an die Worte meines alten Freundes, Bergführers und Ötztal Urgesteins Thomas Grüner: „Wenn´s mal gscheit Schnee hat, kimmscht vorbei. Bei uns kannst Sachen fahren, die Du anderswo lang suchen musst“. Und da es niemand Glaubwürdigeren auf der Welt gibt, als einen Tiroler Bergführer – und die Zeit drängte – stand der Entschluss schnell fest: Es geht ins Ötztal!

Zwei Anrufe später stand alles: Die Damen vom Ötztal Tourismus hatten schnell ne coole Ferienwohnung in Obergurgl am Start und Mäx Morandell, der Chef des „Freeride Center“, versprach mir einen Guide „mit demscht wirklich was erlebst!“. Dann noch die Mail an alle Mitfahrer und mit einem breiten Grinsen alle Antworten a la „Weltcuport“ und „Apresski-Hochburg“ abgeschmettert, was ich natürlich vorher mit einem Anruf bei Lorraine Huber abgesichert hatte. Denn sie hat vor Jahren zusammen mit Mäx das Freeride Center Ötztal gegründet und war so meine Versicherung, dass uns wirklich was erwarten würde.

Die erste Splittergruppe machte sich Freitag früh auf den Weg. Nach ein paar Runs im pistennahen Gelände brachte ich meine erste Geheimwaffe in Position: Ein Anruf bei Thomas genügte und schon waren wir auf dem ersten Hike unterwegs. 20 Minuten raus aus dem Skigebiet, totale Stille, unberührte Hänge und ein Couloir, das sich gewaschen hat. Das Ganze nochmal, mit einer kleinen Variante und schon waren meine beiden Mitfahrer mit Sölden versöhnt.

Die beiden härteren Nüsse – weltgewandte Freerider, die alles gesehen und befahren haben, die zu jedem Equipment genau Bescheid wissen und natürlich die besten Skifahrer unter Gottes schönem Himmel sind (zumindest in der Eigenwahrnehmung) - trafen wir zusammen mit Guide Daniel am Samstagmorgen. Mit Skepsis auf beiden Seiten – kann Sölden wirklich was (die selbsternannten Pros) und können die wirklich was (unser Guide Daniel), ging es ins Skigebiet.

Ein Run zum Warmfahren, bei dem Daniel genau beobachtete, wer wie gut drauf ist und dann gings ab: Eine Variante hier, ein Couloir da, alles schon Richtung Tiefenbachgletscher, dem Einstieg in die erste längere Route. Das „Besental“ zieht sich direkt vom Mutjoch auf 3200 Höhenmetern runter ins Ventertal auf 1700 Meter! 1500 Meter Abfahrt, mit immer neuen Hängen in verschiedensten Expositionen, gigantischen Ausblicken und einem Guide, der ein super Gespür für Schnee bzw. den besten Powder hat. Mit dem Taxi zurück nach Sölden, mit der Gaislachkogelbahn wieder rauf, kurz einen vorzüglichen Pulled Pork Burger in der s`Stabele Schirmbar und schon stehen wir zwei Lifte später wieder auf über 3000 Höhenmeter unterhalb des Schwarzkogel. Das Pollestal ruft!

Wieder ist der Einstieg denkbar einfach und direkt vom Lift aus möglich. Und wieder eröffnen sich weite, mächtige Hänge. Daniel erklärt uns die Namen der Rinnen über uns, alle tragen sie Namen aus dem Herrn der Ringe und wurden von den Erstbefahrern Mäx und Lori so benannt. Der Run durchs Pollestal bringt noch mal knapp 2000 Tiefenmeter auf unsere „Scorecards“. Und da Daniel unseren Zeitplan immer fix im Blick hat, sitzen wir kurz vor Liftschluss in der Giggijochbahn, um in der Gampe Thaya den Tag „bei einem Bier ausklingen zu lassen“. Klingt harmlos und hat auch so angefangen! Dass aber die Gampe Thaya ein Ökobetrieb mit fast ausschließlich heimischen Lebensmitteln (Speck, Käs und natürlich Schnaps) ist, der Wirt ein super interessanter Typ und die Stuben so unglaublich gemütlich sind, hätte uns unser Guide vorher sagen sollen. Oder damit planen müssen und ein paar Stirnlampen mit einpacken. So wird die letzte Abfahrt des Tages zwar a riesen Gaudi (zuallererst wegen Bier, Wein und Schnaps) aber auch a bissl risikoreich „Paschts auf, das kommt a blöde Kurve!“ Zack!

Für Sonntag hat sich Daniel mit Martin, einem befreundeten Bergführer, erstens Verstärkung mitgebracht und zweitens, mit der Besteigung und der Abfahrt der Äußeren schwarzen Schneid, ein absolutes Schmankerl einfallen lassen. Mit bereits bekannten Bahnen, aber auf immer wieder neuen Wegen, geht es abermals Richtung Tiefenbachgletscher und dann mit Fellen weiter vom großen Parkplatz zum Gaislachkar. Nach circa 20 Minuten Traversieren ziehen wir die Spur immer steiler nach oben bis zum Einstieg in eine 55° Rinne. Mit Ski am Rucksack kämpfen wir uns noch ca. 200 Höhenmeter durch den sehr anspruchsvollen Schnee zum Sattel. Der bietet kaum genügend Platz für uns alle und flößt allen bis auf Daniel und Martin gehörig Respekt ein. Auch der Blick in die Abfahrtsroute und Daniels Worte „Bitte auf die ersten hundert Meter ned stürzen“ tun ihr Übriges. Angst, Respekt und Ehrfurcht mischen sich und lösen sich erst, als alle heil die erste Hürde – ein ziemlich enges, ziemlich steiles Stück - gemeistert haben und sich der Hang linksseitig öffnet. Auch Daniel ist die Erleichterung anzusehen, bevor er uns mit einem breiten Grinsen adelt: „Oft fahr ma des ned mit Gäscht!“

Was dann folgt ist Genuss pur! Mit Panoramablick und der Gewissheit heuer die ersten zu sein, die Spuren in diesen Hang ziehen. Und bei mir mit der tiefen Überzeugung, was Gutes organisiert zu haben, was meine Mitfahrer Gott sei Dank ähnlich sehen „Eigentlich die beste Ausfahrt der letzten Jahre!“.

Was bleibt aus den drei Tagen im Ötztal sind einige Erkenntnisse: Tiroler Bergführer sagen immer die Wahrheit! Das Gute liegt oft so nah! Und ein Local als Guide ist Gold wert!

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