Die Tragik des Frühwinters

Von Marius Schwager am 18.Nov. 2015

„Hier hats ja gar keinen Schnee!“ stellt mein Gondel-Mitfahrer erstaunt fest. Es ist Anfang November in einem alpinen Gletscherskigebiet im deutschsprachigen Alpenraum. Außer Kunstschnee ist da nicht viel, was Freeriders Träume erfüllen würde. Mein Mitfahrer sieht das anders. Er hat ein Powder-Wochenende gebucht.

Der Wettervogel von Wepowder ist am 11.11.2015 schon wieder ganz enttäuscht. Nicht weil es keine St. Martinsbrezn gab – der zweite Teil der Rückkehr des Winters findet offenbar nicht statt. Wenn jetzt Anfang/Mitte November schon der zweite Teil der Rückkehr des Winters sein sollte, dann muss neuerdings ja schonmal Winter gewesen sein.

Ich frage mich, was sagt eigentlich der Herbst dazu? Irgendwann zwischen Surfurlaub in Bali und Social Media Clickbaiting wurde der wohl abgeschafft. Das findet er, der Herbst, bestimmt doof, könnte er sich äussern. So war er doch eigentlich mal irgendwo zwischen Sommerende und dem 22. Dezember angesiedelt. Aber Schwamm drüber, die Schneekanonen auf diesen neuen Freeridepisten richten das schon.

Das kalendarische Herbstskifahren ist generell eine recht schizophrene Angelegenheit. Statistisch gesehen ist die Zeit um September bis Dezember die schneeärmste Zeit (im alpinen Hochgebirge). Also eigentlich mit der schlechteste Zeitpunkt im Jahresgang Skifahren zu wollen. Der gemeine Internetskifahrer sieht das aber ganz und gar anders. Auf Kunstschneebändern wird herumgerutscht, und sich dabei über Steine und die Schneearmut beschwert. „Wofür sind eigentlich diese ganzen Seen angelegt?“ Für die Beschneiung deiner geliebten Kunstschneepiste, lieber Sesselliftnachbar.

Ab Mitte März dann – spätestens – soll der Schnee doch bitte endlich weg und Platz für T-Shirt-Wetter und Eisdiele machen. Gefühlt die Hälfte aller Skigebiete hat heutzutage bereits geschlossen, wenn eigentlich der meiste Schnee erst noch kommt. Und spätestens im Mai beschweren wir uns dann wieder alle kollektiv dass Wander und Bikepfade nicht schneefrei sind bitte!

Die Tragik des Frühwinters ist also eher nicht auf das neuerliche Wegfallen des Herbstes beschränkt. Es ist wohl eher so, dass sich die Natur nicht dem menschlichen Zeitgeist anpassen möchte. Ziemlich doof von der Natur, dass sie kein Smartphone besitzt, und nicht Kaffeesüchtig ist. Dann wüsste sie vielleicht, dass das alles auch schneller ginge. Eventuell könnte man mal die Sonne schneller um die Erde kreisen lassen. Vielleicht sagt der Sonne das mal wer in einer seiner Facebook-Groups. Danke.

Vielleicht hängt die Tragik des Frühwinters aber auch ein bisschen damit zusammen, dass die Menschheit 99% ihrer Zeit auf diesem Planeten als Steinzeitmenschen mehrheitlich in Höhlen verbracht hat und die Winter in der damaligen Zeit einfach früher angefangen haben. Sitzheizung im Lift gabs damals übrigens nach neuesten archäologischen Erkenntnissen allerdings nicht. Rockerski dagegen teilweise schon.

Literaturtipp: Huntford, R. (2009): Two Planks and a Passion: The Dramatic History of Skiing, Continuum. ISBN: 978-1441134011.

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