Auf der Suche nach Neuschnee

Von Marius Schwager am 3.Feb. 2015

Ein betagtes Campingmobil, Baujahr 1997, tritt seine erste Winterreise an. Von Portugal über die Pyrenäen und die Südalpen führt uns unser acht Quadratmeter geräumiger Yolocamper. Zu dritt wagen wir die 3500 Kilometer Reise, durch acht Länder, sieben Skigebiete und zu viele geschlossene, tiefverschneite Passstraßen. Die Suche nach Neuschnee, unbekannten Skigebieten und neuen Freunden kann beginnen. You only live once.

Der frische Powder lockt uns. Wir haben die Schneelage vorab ausreichend studiert, sodass uns beim mal wieder trockenen Tiroler Winter daheim kaum eine Möglichkeit blieb, wirklichen Pulverschnee zu finden. Unser Yolocamper, eine 1,7 Liter Rennmaschine aus der italienischen Edelschmiede Fiat, startet in sein Abenteuer. Unser treuer Begleiter, Fortbewegungsmittel und Herberge ist Baujahr 1997. Von Bennis Eltern noch vor der Euro-Einführung für 29.000 Deutsche Mark erstanden.

Wir können die brachialen 57 Pferdestärken in Richtung Pyrenäen kaum bändigen. 90 Km/h bei idealen Bedingungen, so rasant flitzen wir über die portugiesischen und spanischen Autobahnen gen Pyrenäen. Ist mal kein Rückenwind und geht es leicht bergauf, drosselt sich unser Italiener auf unter Ortsgeschwindigkeit. Gelebte Entschleunigung in unserer schnelllebigen Welt. Andere würden dafür ein Vermögen ausgeben.

Portwein ist das Nationalgetränk Portugals. Porto ist Bennis Erasmus-Studiumstadt und so etwas wie die Nabelschnur der Portwein-Welt. Das alkoholhaltige Getränk, das im 15. Jahrhundert die Seemänner auf den Entdeckungsfahrten Heinrichs dem Seefahrer bei Laune hielt, ist wohl auch für unsere „Yolocamper Mission" der Stein des Anstoßes. Zumindest erzählt man sich Ähnliches, genauere Erinnerungen sind nur wenige vorhanden. Von Porto durch Spanien und Frankreich über die Pyrenäen und die Südalpen in heimatliche Gefilde bis ins geheiligte Land Tirol führt uns dieser Campingtrip.

Ein Skigebiet nur für uns
Ich habe ein Faible für kleine, wenig bekannte Skigebiete. Der Umgang ist oft familiärer, die Liftler freuen sich über strahlende Gesichter und sind immer offen für einen kleinen Plausch. Der Powder wird meist mit weniger Menschen brüderlich geteilt, „Bitte nach Ihnen mein Herr, ich insistiere". Netter Nebeneffekt: Selten queren Horden quietschbunter Modefreerider mit perfekter Ausrüstung und unfreundlichem „Ich zuerst und nach mir die Sinnflut"- Benehmen am Berg den Weg.

Die kleine abendliche Spritztour zog sich über drei verschneite Passstraßen. Ankunftszeit am Skigebietsparkplatz: 6.30 Uhr, morgens. Gegen 11 Uhr kaufen wir unsere Tickets, übernächtigt von einem übereifrigen Schneeräumgerät am frühen Morgen war die Nacht am Parkplatz nicht sonderlich erholsam. Wir realisieren nicht, wie wir nach der ersten Gondel weiter ins Gebiet kommen.

Der Liftwart tritt aus seinem Häuschen hervor, schaufelt noch eben seine Tür am Lifthäuschen frei und begrüßt uns mit breitem Lachen. „Bonjour, ça va bien?" Wir sind die ersten im Gebiet heute, sonst ist niemand da. Er wünscht uns viel Spaß, 30 Zentimeter Neuschnee erwarten uns.

Irgendwann geschieht beinahe unglaubliches: Breite Ski, Rucksack, Helm, fährt abseits der Skipiste, typisch französische, leicht Kamikaze-angehauchte Skitechnik. Wir entdecken einen anderen Freerider. Es sollte der Einzige an den zwei Tagen vor Ort bleiben. Mikael ist im offiziellen Leben Student, in Wahrheit aber, genießt er - wie wir auch - das Skibumleben in vollen Zügen. In gekonnter Art manövriert er uns durch das dichte Gestrüpp im steilen Wald. Wenn wir mal wieder eine Abzweigung verpassen und mal wieder Urlaute von uns durchs Gebüsch brüllen, grinst er nur. Es bereitet ihm sichtlich Freude, mit uns Spuren zu kreuzen. Wir bedanken uns artig mit deutschem Bier und köstlich verkochter Pasta mit Allerlei ala Benni.

Auf den Spuren von Luke Skywalker
Unser nächster Stop ist Piau-Engaly. Der Charme der Architektur erinnert uns zwangsläufig an Luke und seinen Vater, Darth Vader. Statt einem Todesstern taucht allerdings atemberaubendes Steilgelände vor unserem Fenster auf, hier mitten in der futuristischen Architektur auf 1600 Meter.

Manuel und Gigi führen uns durch ihren Homespot. Ein relativ überschaubares Resort. Von der Station geht eine Liftlinie straight bis zum Gipfel und überwindet dabei zügig 1200 Höhenmeter. Wir erwischen es perfekt für solch einfach zu erreichendes Gelände und shredden mit den verrückten Franzosen um die Wette. Die Backside des Pic du Piau ist die Freeride-Perle des Orts. Kurzer Zustieg, steile Abfahrt mit zahlreichen Cliffs und mit einigen Stockschüben geht's wieder zurück zum Lift, zeigt uns Gigi aus sicherer Entfernung. Während die Schneemauer vor unserem Fenster täglich weiter wächst, verkneifen wir uns unnötig riskante Abenteuer in das verlockende Steilgelände. Eigentlich müsste man nochmal im Frühjahr herkommen, flüstern uns die Steilwände im rötlichen Abendlicht bei Baguette und Rotwein zu.

Skitouren für unverspurte Lines? Unnötig!
Bei einer Fluganreise zu einem Skitrip stellt sich immer die Frage, welche Ausrüstung braucht man, auf was kann man verzichten. Klar, Ski, Lawinennotfallausrüstung und Tourenequipment nehmen wir mit. Steigeisen und ein Eispickel zur Sicherheit auch, alpines Gelände hat mitunter ja so seine Hindernisse. Dass wir unsere Tourenfelle lediglich einmal einsetzen und den Eispickel nur zum Öffnen zahlloser Bierflaschen brauchen, war nicht die Mutter des Kerngedankens.

Letztlich stellen wir nach einigen Skitagen, täglichem Schneefall und unverspurtem Powder ohne einen Meter aufsteigen zu müssen dann aber doch fest, so wirklich benutzt haben wir unsere Skitourenfelle nicht. Wieso zu Fuß gehen, wenn das Gute so nahe liegt? Das Wetter ist wechselhaft. Mal wieder sind 30cm Neuschnee gefallen. Große alpine Touren und steile Abfahrten sind gerade nicht ratsam. Die übliche „Problematik" auf diesem Trip.

Skitouren mit dem Heli um die Wette
Endlich blitzt einmal die Sonne hervor und es hat die letzten beiden Tage nur wenig geschneit. Wir gehen daher etwa 700 Höhenmeter auf einen kleinen unschwierigen Berg in Skigebietsnähe. Die Sonne meint es gut mit uns, der Aufstieg geht durch den lichten Wald leicht von der Hand. Wir hören ein Motorgeräusch. Erst leise, dann dröhnt es immer deutlicher. Plötzlich taucht fast in Greifweite ein Heli über unseren Köpfen auf und zieht an uns vorbei. Er wird doch nicht.... Doch. Natürlich landet der Heli genau auf dem von uns anvisierten Hügel, keine 30 Höhenmeter vor dem Gipfel entfernt, setzt uns ein Heli eine Freeride-Gruppe direkt vor die Nase. Bei unserer einzigen Skitour auf diesem Trip.

Der Guide ist ein netter Spanier, er spricht uns gleich am Gipfel an. Es tue ihm sehr leid, dass er seine Gruppe direkt vor unserer Nase abgesetzt habe. Er erkundigt sich nach unserer geplanten Abfahrtsroute. Seine Route kollidiert nicht mit der unseren, trotzdem hätte er uns den Vortritt gelassen. Bei uns zuhause am Arlberg kommt es schon mal vor, dass man von Guides beleidigt wird, wenn man vor ihnen eine Abfahrt fährt. Wir wünschen uns gegenseitig eine gute Fahrt und bleiben noch einige Minuten
Heli-frei am Gipfel und genießen erneut die zuvorkommende Freundlichkeit in den Pyrenäen.

Camperleben
Die Arbeitsteilung ist klar geregelt im Camper. Jan und Benni sitzen vorne und wechseln sich mit dem Fahren ab. Ich, der sogenannte Künstler der Gruppe, sitze und liege hinten auf der Bank im Campingbereich. Hier und da wird den Arbeitern in der ersten Reihe Croissant und Baguette gereicht. Ansonsten schlafe ich viel. Zum Glück gibt es guten Wein hier hinten. Der gerade frisch erstandene Reblochon ist aber auch lecker.

Hier hinten in der Kajüte kommt es schon das ein oder andere Mal vor, dass das ein oder andere Fläschchen Bordeaux heimlich „verschwindet". Vorne, bei gefühlt 30 Km/h durch das südfranzösische Hügelland passiert sowieso nicht viel. Malerische Landschaften ziehen an uns vorbei, hier und dort steht erhaben ein altes Schloss mit Wassergraben in der Natur herum. Dieser Gott aus Frankreich muss irgendwo hier leben.

Gelebte Entschleunigung, ein Groschenroman mit Spielort Südfrankreich könnte nicht klischeehafter ausgeschmückt sein. Wenn der Bordeaux nur nicht so süffig wäre, und Alkohol für den Fahrer tabu wäre, würde ich den beiden Knechten vorne ja auch mal ein Gläschen kredenzen.

Südalpen
Von Nizza fahren wir gen Norden in die Südalpen. Die Straße nach Isola2000 ist wegen Lawinengefahr und Neuschnee gesperrt. Der malerische Ort Isola und das ansässige Schwimmbad bieten uns Waschgelegenheit und Platz für die Nacht. Das Weinreservoir ist gut gefüllt.

Am nächsten Morgen küsst uns die Sonne wach. 60cm Neuschnee am Berg und feinstes Kaiserwetter. Wir sind in Auron, ein Bekannter gab uns den Tipp, dass sich Neuschnee hier recht ausgezeichnet vernichten ließe. Der Hauptlift ist noch geschlossen, wir vergnügen uns an diversen kleinen Spielereien und erkunden das Gelände. Währenddessen setzt sich der Sessellift Dôme in Bewegung. Die Lawinenkommission sprengt fleissig aus dem Hang heraus den Run direkt unterhalb des Sessellifts.

In diesem Moment bin ich glücklich nicht die Stabilität der Neuschneedecke testen zu müssen. Den beiden Lawinenkomissionären scheint ihre Arbeit allerdings sichtlich Spaß zu machen. Ein paar Powderturns, hier und da ein bisschen rumballern.

Feuer frei lautet es nun offiziell. Wir begeben uns mit der versammelten Menge in einen wahren Powderrausch. Ein Faceshot jagt den anderen, hier ein verspieltes Hügelgelände, dort ein Cliff. Steile Waldabfahrten wechseln sich mit weiten, offenen Powderhängen ab. Highfives machen nach jedem Run die Runde. Es ist immer ein besonderes Gefühl in einem neuen Gebiet direkt einen perfekten Powder-mit-Sonne Tag zu haben.

Resteessen
Unser Zeitbudget neigt sich allmählich dem Ende. Wir haben weiterhin Hunger auf Neues und siedeln den nächsten Tag um ins Nachbargebiet Isola2000. Meine beiden Mitfahrer waren noch nie in Frankreich Skifahren, das Konzept der großen Destinationen mit den Mega-Bettenburgen in Privatbesitz großer Investmentfirmen ist ihnen so nicht geläufig. Erstaunt stehen sie inmitten des riesigen Gebäudekomplexes, in dem sich Appartements und Geschäfte konzentrieren. Isola besteht mehr oder weniger nur aus diesem einen, riesigen Gebäude auf 2000 Meter. Desnächtens irren wir in dem labyrinthartig angelegten Komplex umher, nur um festzustellen, dass das Preisniveau hier typisch hoch für einen Monopolanbieter ist. Da schmecken die selbstgekochten Spaghettireste ala Yolocamper gleich doppelt gut. Der Wein ist auch leer. Unser Gott in Frankreich hat heute offensichtlich Urlaub.

Isola befindet sich in einem Talkessel. Die Lifte umfassen den Ort komplett, dazwischen sind auf den ersten Blick nur wenig spannende Hänge fahrbar. Fürs alpine Gelände ist auch heute wieder nicht der richtige Tag. Riesige Schneewellen und Verwehungen zeugen von starken Schneefällen und weiten Verfrachtungen. Wir beschließen einstimmig beim bislang erfolgreichen Plan zu bleiben: Öfter befahrene Minigolf-Lines in Liftnähe.

Ein kurzer Hike und uns erwartet perfektes Skifahrer-Steilgelände. Von „gerade so noch fahrbar" und vermutlich zu steil für Lawinenwarnstufe 4 bis zum gemütlichen Genussabschnitt in fast alle Expositionen ist alles geboten. Wir gehen es langsam an und tasten uns vorsichtig an steilere Passagen ran. Die ein oder andere Lawinensprengladung wurde in den Hängen platziert. Saubere, runde Explosionslöcher ohne Anzeichen einer Auslösung. Die fünf Meter hohen Sprenganlagen sind bis oben zugeschneit und bieten sich als perfekt geshapter Kicker an. Jackpot.

Wir erkunden mehr und mehr Terrain und können unser Glück kaum fassen. Schon wieder ein perfekter Powdertag! Gerade einmal einen einzigen Freerider treffen wir und können den Stoke mit ihm teilen. Andernorts wäre hier binnen weniger Stunden von Horden skandinavischer und münchner Outdoor-Yuppies alles plattgewalzt. Gut, dass wir uns für die YOLOmission entschieden haben.

Wir verlassen Isola und staunen noch einmal zurück auf die stark verschneite Bergwelt. Benni schaut noch einmal nach der Dachbox und befestigt die Ski. Die Straßenbegrenzung bildet eine Schneewand, die ist immer noch höher gewachsen als er: 2,2 Meter Standhöhe des Campers und Bennis 1,9 Meter dazu reichen nicht aus, um die Wand an Höhe zu übertreffen.

Croissant, Cafe und lichter Wald
Einen letzten Skitag gönnen wir uns noch, zuhause hat es ohnehin nicht geschneit die letzten zwei Wochen. Auron und Isola2000 haben uns bestens mit Powder verwöhnt. Serre Chevalier, das Hausgebiet Briancons und letzter Stopp unserer Tour begrüßt uns nur mit mäßiger Sicht und ohne Neuschnee. Unsere Knochen sind mittlerweile schon müde. Die kleinen, liebevoll eingerichteten Cafes am Straßenrand müssen wir Frankreichliebhaber unbedingt testen. Allerlei Köstlichkeiten aus der Region werden angeboten. Hausgemachter Himbeergeleekuchen in Herzform mit Staubzucker garniert, dazu handwarme Croissants und den Duft von frischgebrühtem Cafe aus der Siebträgermaschine.

Mühsam rappeln wir uns auf den Berg, es ist sehr windig und schneit leicht. Alle Lifte oberhalb der Baumgrenze sind heute geschlossen. Benni wird plötzlich vermisst. Er hat sich im Wald verfahren. Mit breitem Grinsen steht er am vereinbarten Treffpunkt. Seine temporäre links-rechts Schwäche entpuppt sich als Zufallstreffer. Ein Wald mit angenehmer Steilheit, großteils perfektem Baumabstand, gesetztem Powder und unzähligen Pillows liegt unverspurt vor uns. Jackpot! Schon wieder! Wir können gar nicht alles befahren, was wir sehen.

Die letzten Abfahrten dieser Reise schießen wir durch den Wald, bis die Oberschenkel vor Laktatanhäufung fast kollabieren. Zurück in Innsbruck packen wir gleich unsere Bikes. Eine Entspannungstour auf unsere Hausalm auf 1250 Meter. Die Wege sind komplett schneefrei und staubtrocken. Wir zücken noch einmal unser Handy, worauf die Bilder der letzten Tage gespeichert sind. Wir selbst können es kaum glauben. Vorgestern noch standen wir neben einer vier Meter hohen Schneewand, bekamen jeden Tag frischen Neuschnee direkt am Lift auf dem Silbertablett serviert und der Camper hat auf den unzähligen verschneiten Passstraßen mehrere Schneeketten verschlissen. Hier stehen wir nun in kurzen Bikeshorts und Tshirt. Ein bisschen YOLO finden wir das schon.

Reisetipps für die Pyrenäen
Transport am besten per Auto, da es dort nur wenige öffentliche Verkehrsmittel gibt.

In Andorra unbedingt die streng überwachten Ein- und Ausfuhrbestimmungen beachten. Generell gilt auf einem Roadtrip: Schneeketten und Winterausrüstung nicht vergessen und auf die aktuelle Öffnung der Straßen achten.
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