LBD statt LSD - Das Phänomen "Longboardday"

Von Bernhard Scholz am 8.Mai. 2013

Neonklamotten, Jeansoutfit, Ski nicht unter 2 Metern, ein Pulk Irrer rast wie eine Herde wilder Pferde durch ein Skigebiet und hinterlässt staunende Gesichter. Es wird gefeiert bis die Sonne wieder aufgeht - ein neues Phänomen bahnt seinen Weg.

Die Frühjahrssonne frisst sich unerbitterlich in die noch reichlich vorhandene Schneedecke, Skigebiete schließen hastig die Lifte, um ihre Mitarbeiter vor der hohen Sonneneinstrahlung zu schützen. Im Tal wird es grün, die Gipfel blitzen in reinem Postkartenweiß. Alle paar Tage schneit es und wer schnell ist, hat bis 11.00 Uhr noch besten Pulverschnee. Die Skitourengeherfraktion übervölkert die Standardanstiege der Modeberge wie auf einer Ameisenstraße. Ja - die Wintersaison neigt sich offensichtlich dem Ende entgegen. Genau jetzt ist die Zeit für Liebhaber des schrägen Humors und des sporadischen Alkoholmissbrauchs gekommen.

Seit einigen Jahren ist es möglich diese spezielle Spezies in freier Wildbahn zu erleben. Sie treffen sich gerne in einem der Skigebiete, die kurz davor sind zu schließen. Dort zelebrieren sie ihre Einzigartigkeit in gemeinsamer Abart unter Zuhilfenahme von modischen Accessoires, Teamgeist und einer nicht zu unterschätzenden Menge an Hopfenmalzgetränken . Doch woher kommen sie? Was treibt sie an? Warum zur Hölle machen sich junge, gesunde Menschen im zeugungs- und gebärfähigen Alter bewusst in aller Öffentlichkeit zum Narren?

Das Mutterland der Gaper-Bewegung
Die Geschichte hat, wie so oft, ihren Ursprung in Amerika - dem Land der republikanischen Ritter und demokratischen Diabetiker. Retro Days standen und stehen auf der Tagesordnung: Es treffen sich ein paar Skibums, ziehen die Skiklamotten ihrer Eltern an, schnallen Ski mit mindestens 2 Metern Länge an die Füße und nehmen Dosenbier, so viel wie jeder Einzelne tragen kann, mit auf den Berg.

Ebenfalls dabei sind auch die Stars der Szene, unter ihnen damals Shane McConkey. Er reizte das Thema aus, immer wenn er verletzungsbedingt länger nur mit angezogener Handbremse fahren konnte, schlüpfte er in die Rolle von "Saucer Boy" - dem Typ der ein Nudelsieb am Klettergurt hängen hat, auf Snowblades den Moonwalk aufführt und nie ohne eine Flasche Whisky in der Hand anzutreffen ist. Saucerboy wurde von Matchstick Productions filmisch verewigt und ist seither das Vorbild bei allen LBDs, Skiing Ugly Days, Retro Days oder wie auch immer die Events heißen mögen.

In europäischen Gefilden ist das alles nicht ganz neu. Bei Veranstaltungen wie dem Derby de la Meije in La Grave fährt man seit Jahrzehnten mit einfallsreicher Kostümierung. Bemerkenswert ist aber, dass doch viele die sich für gestandene Freerider halten, es nicht schaffen, sich selbst und ihr Tun mal mit einem blinzelnden Auge zu betrachten. Meist ist das Höchste der Gefühle auf alten Holzbrettern in Tracht Skifahren zu gehen, das Ganze in ein "Skirennen" zu verpacken und sich der Wurzeln des Sports bewusst zu werden. Erst als deutlich wurde, dass vor allem die Besten der Besten diese Art von Humor haben, wagen immer mehr den Schritt zum wirklich vollendeten Wintersportler. Sie nehmen sich und den Sport für einen Moment nicht ernst - und können so aus einer gesunden Distanz die eigentliche Sache an sich wieder erkennen.

Mut zur Selbstpersiflage
Dass dieser philosophische Ansatz mit einer großen Party verbunden ist stört hierbei nur die wenigsten - höchstens die, die nicht kommen (wollen) und anschließend bereuen, nicht Teil einer kollektiven Selbstfindung geworden zu sein. Diejenigen, die das alles sowieso total albern finden, an allem etwas herumnörgeln, sich für zu alt halten oder aus Angst vor karriereschädlichen Handlungen ihr Gesicht nicht zeigen wollen. Ob das nun berechtigte Gründe sind, sei dahin gestellt. Für die Teilnehmer sind sie jedenfalls nicht nachvollziehbar. Wo, wenn nicht auf einer solchen Veranstaltung, kann man mal wieder ganz Skifahrer sein - tun was man will, ohne Kameras, ohne Mediendruck, ohne Communitydruck, ohne "Plan"? Und dabei die Geschehnisse bewusst persiflieren?

Es geht auch darum eine Party zu feiern. Die Party wird mit einer wundervollen Sportart verbunden und mit einem Schuss Exhibitionismus gemixt. Denn Feste gehören zum Ursprünglichsten der menschlichen Natur - man feiert das Erreichte, das Vergangene und wagt einen kleinen positiven Blick in die Zukunft. Alles für den Moment der Besinnung auf das Wesentliche: Es ist egal welche Marke man trägt oder fährt. Es ist egal wie gut oder schlecht man den Berg hinunter kommt. Es macht keinen Unterschied ob man 2 oder 5 Bier dabei hat, es ist gleichgültig ob man Profisportler oder Amateuer ist - hier haben alle miteinander Spaß und zeigen dies überdeutlich.

Rückbesinnung auf die Ursprünge des Sports
Die speziellen Tanzschuhe sind poliert, der Frack gebügelt, die Haare gegeelt. So kann man in perfektem Hedonismus über die Stränge schlagen. Urteilen ist schwer möglich, denn wer wagt es auf den so völlig Anderen einzutreten? Nach welchen Regeln soll man eine solche Veranstaltung korrumpieren? Es geht schlicht nicht, denn auch wer ganz normal gekleidet kommt - seine Füße auf den Ski - der wird herzlich aufgenommen. Schließlich steht der gemeinsame Spaß im Vordergrund. Gegen Freude und Spaß sind selbst strenge Türsteher machtlos, sie beugen sich dem Irrsinn der nach Superlativen schreienden Tribühnengesellschaft - hier haben sie den bunten Kanarienvogel.

Und in diesem Sinne erinnert dies alles ein wenig an Karneval - wo man sich selbst vergessen soll und in die Rolle eines anderen schlüpft um dem Alltag zu entrinnen. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Hier versteckt man sich nicht in einer Rolle, man wird zu dem was den Kern des Skifahrens ausmacht: Spaß und Freude am eigenen Sein, im aktuellen Moment.

Wir freuen uns schon auf den nächsten Longboardday! Einige Impressionen vom jüngsten Longboardday unserer Forums-User findet ihr HIER.
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