Nat Segal
© Ryan Collins

Nat Segal

Von Christina Mack am 1.Feb. 2025

Nat Segal ist eine professionelle Skifahrerin, die heute in Revelstoke, Canada, lebt. Nach ihrem Sieg bei der Freeskiing World Tour-Qualifikation 2012 reiste sie um die Welt und arbeitete an eigenen Filmprojekten wie Finding The Line und Beyond Begbie. Im Jahr 2020, nach einer Knieoperation und anschließender Reha, begann Nat unter starken Rückenschmerzen zu leiden. Obwohl sie damit seit ihrem 18. Lebensjahr zu kämpfen hatte, wollte dieser Schmerz einfach nicht nachlassen. Erst nach langer Ungewissheit erhielt sie die Diagnose Spondylitis ankylosans – eine entzündliche Arthritis, die ihre Wirbelsäule betrifft und chronische Schmerzen verursacht.

Der Kurzfilm Mountain Joy dokumentiert ihre Reise und zeigt, wie Nat trotz dieser Herausforderungen ihren Platz in den Bergen neu sucht. In einer Sportart, die Schmerz oft als Teil des Erfolgs glorifiziert, stellt der Film die Frage, was passiert, wenn genau diese Bewegung zur Belastung wird. Es geht darum, eine chronische Krankheit mit einer Profikarriere zu vereinen – und darum, wie Nat gelernt hat, die Natur auf eine neue, achtsamere Weise zu genießen.

Im Interview nimmt uns Nat mit auf ihren Weg, teilt Einblicke in ihre früheren Gedanken und erzählt, wie sie heute mit der Diagnose umgeht.

 

Nat, kannst du uns einen Einblick in deine letzten Jahre geben. Wann haben die Schmerzen angefangen?

Ich glaube, dass die Schmerzen vor etwa vier Jahren richtig schlimm wurden. Ich begann, verschiedene Tests zu machen, bekam Medikamente und hatte endlich eine Erleichterung von den starken Schmerzen. Trotzdem fiel es mir schwer, wieder in die Berge zu gehen. Ich habe mit zwei Jahren angefangen zu Skifahren und seit meiner Teenagerzeit war ich in einem ewigen Winter – teilweise 200 Tage im Jahr auf Skiern. Mein Körper war daran gewöhnt.

In dieser Zeit konnte ich nicht mehr so viel und intensiv Ski fahren. Es gab Tage, an denen ich einfach zu Hause bleiben musste, auf der Couch lag und vor Schmerzen nichts anderes tun konnte. Doch während dieser Tage habe ich mir vorgestellt, wo ich sein will und worauf ich hinarbeite. Die Idee für den Film entstand genau in diesen Momenten. Anfangs wollten wir sogar eine Kurz-Doku mit dem Titel „Anatomy of a Dream“ machen – darüber, was passiert, wenn dein Körper dich ausbremst und wie du trotzdem deinen Weg weitergehst.

Wie lange hast du nicht über deine Schmerzen gesprochen?

Während eines Filmprojekts mit meiner Schwester fing es mit den Rückenschmerzen an. Ich habe während des gesamten Drehs Medikamente genommen und konnte nicht mehr so Ski fahren, wie ich es gewohnt war. Danach habe ich einfach weitergemacht und wollte meine Rückenschmerzen nicht als Ausrede benutzen. Es war kein richtiges Geheimnis, aber ich bin dem Thema ausgewichen und habe mir selbst Ausreden gesucht. 2020 hatte ich dann einen Sturz und zog mir eine Knieverletzung zu. Während der Reha haben sich meine Symptome extrem verschlimmert. Ich konnte kaum noch trainieren – das war der Punkt, an dem ich es nicht mehr verstecken konnte.

War es schwer für dich, deine Geschichte zu teilen?

Zu dem Zeitpunkt, als wir den Film gedreht haben, war ich einfach nur glücklich, wieder Ski fahren zu können. Gleichzeitig war es aber auch schwierig, nicht den Eindruck zu erwecken, als würde ich mich beschweren. Es hat lange gedauert, bis ich die richtigen Worte gefunden habe, um alles auszudrücken. Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir im Film eine Facette der Geschichte nicht genug gezeigt haben. Wir haben uns nicht allzu sehr auf die schweren Zeiten konzentriert, sondern eher darauf, was mir hilft, nach vorne zu schauen. Mittlerweile fällt es mir leichter, offen darüber zu sprechen, und ich schäme mich nicht mehr. Aber bevor ich die Diagnose hatte, war das anders – ich dachte, ich wäre einfach nur zu schwach.

Welche Rolle spielte Scham dabei?

Jemand hat den Film vorgestellt und dabei das Thema Scham angesprochen. Das war ein großer Teil der Geschichte. Wenn man nach einer Verletzung in die Berge zurückkehrt, schämt man sich oft, weil man zu langsam ist oder seine Freunde warten lassen muss. Man traut sich vielleicht nicht, zu fragen, ob jemand einen ruhigeren Tag mit einem macht. Ich wollte immer so tun, als wäre alles in Ordnung, und zeigen, dass ich genauso stark bin wie früher. Ich habe mich auch dafür geschämt, eine Athletin zu sein, die ihren Sport nicht richtig ausüben kann. Ich wollte es meinen Sponsoren und anderen Leuten nicht erzählen – ich hatte Angst, dass sie nicht mehr mit mir arbeiten wollen. Letztendlich muss man mit all diesen Emotionen erst einmal umgehen lernen.

„No pain, no gain“ ist in der Branche ein großes Thema. Wie siehst du das?

Ich liebe Bergsport, Skitourengehen und Bergsteigen, weil ich es mag, mich an meine Grenzen zu pushen. Solange es eine gute Balance gibt und man sich auch mal über seine eigenen Fortschritte freuen kann, ist das nichts Schlechtes. Manchmal muss man auch stürzen, um zu lernen, wie man es nicht tut. Aber das Wichtigste ist zu wissen, wann es Zeit für eine Pause ist. Wann gönnst du dir einen Ruhetag? Überschreitest du dein eigenes Tempo? Es geht darum, auf seinen Körper zu hören und zu wissen, wo die eigenen Grenzen liegen. Diese Balance zu zeigen, ist extrem wichtig.

Thema Grenzen setzen – wie gehst du damit um?

Ich habe einmal bei einem Women's Ski Camp in Kanada mitgemacht, wo wir Grenzen mit einer Ampel verglichen haben. Grün ist, wenn man sich wohlfühlt. Gelb ist, wenn man anfängt, sich unwohl zu fühlen. Rot ist die absolute No-Go-Zone – wenn du müde, gestresst oder überfordert bist. Unser Ziel war es, uns in den frühen Bereich der gelben Zone zu bewegen – sich zu pushen, aber nie in den roten Bereich zu geraten. Dort passieren Verletzungen oder man gerät in eine Spirale aus Angst und Unsicherheit.

Hat sich durch die Diagnose etwas für dich verändert?

Aber ich diagnostiziert wurde und dann die Medikamente bekam, war ich mir anfangs nicht sicher, ob ich mir die Schmerzen der letzten zwei Jahre nur eingebildet hatte. Mit den Medikamenten fühlt sich plötzlich alles normal an – bis man sie mal absetzt. Dann kommt alles wieder zurück und man weiß, dass man sich die Schmerzen nicht eingebildet hat. Eine Frau, die mit der gleichen Krankheit kämpft, hat mich nach dem Film angeschrieben. Sie meinte, es sei schön, dass endlich jemand über chronische Schmerzen spricht, und sie ist dankbar, dass sie sich mit meiner Geschichte identifizieren kann.

Wie gehst du mit der Unvorhersehbarkeit der Krankheit um?

Jetzt, wo ich weiß, womit ich es zu tun habe, ist es viel einfacher. Vorher lag ich morgens manchmal eine halbe Stunde im Bett, spürte eine Schwellung und wusste einfach nicht was los ist. Ich war depressiv und kam morgens nicht aus dem Bett. Heute verstehe ich es besser. Wenn ich aufwache und mein Körper steif ist, weiß ich, dass ich mich bewegen muss. Ich habe jetzt viel mehr Struktur. Ein großer Teil war auch, die „FOMO“ (Fear of Missing Out) loszulassen. Ich habe gelernt, dass ich zwar Tage verpasse, aber dafür auch viele Tage gewinnen werde. Die besten Tage sind die, die man sich selbst gut macht. Diese veränderte Denkweise hat mir sehr geholfen.

Hast du einen Rat für Leute, die in einer ähnlichen Situation sind?

Wenn du denkst, dass du dich ausruhst – dann ruhe dich noch mehr aus! Manchmal nehme ich mir eine ganze Woche frei vom Skifahren, weil ich weiß, dass ich mich danach viel besser fühlen werde. Es geht nicht um die Quantität, sondern um die Qualität. Generell ist Bewegung extrem wichtig für die mentale Gesundheit. Es muss nicht immer ein kompletter Ruhetag sein, aber du kannst dein Training auch mal ruhiger angehen. Finde heraus, was dein Körper braucht.

Welche Rolle haben die Berge in deinem Heilungsprozess gespielt?

Ich hätte theoretisch einfach ein oder zwei Winter aussetzen können. Aber für mich war das nie eine Option. Die Berge geben mir so viel Freude und Energie. Ich bewege mich seit meiner Kindheit in alpinem Gelände – das ist ein Teil von mir. In schwierigen Zeiten ging es vor allem darum, Leute zu finden, die mit mir rausgehen, ohne den größten oder härtesten Tag zu planen. Es war vor allem wichtig, meine eigenen Erwartungen anzupassen – und auch die meiner Freunde.

Hast du die perfekte Balance zwischen Skifahren und Rest days gefunden?

Lacht. Ich arbeite dran! (Ihr Freund kommt rein und sie fragt ihn: „Würdest du sagen, dass ich mich genug ausruhe?“ Er lacht und sagt: „Nie.“) Physisch verstehe ich meinen Körper jetzt besser, aber es gibt definitiv noch Luft nach oben. Mein Neujahrsvorsatz lautet: „Weniger Dinge tun – aber diese besser.

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