Interview: Gilles Sierro, Steep Skier

Interview: Gilles Sierro, Steep Skier

Von JuliaS am 6.Dez. 2018

Der Schweizer Extrem-Skifahrer Gilles Sierro ist zertifizierter IFMGA/UIAGM Bergführer und leidenschaftlicher Steep Skier. Bekanntheit erlangt er mit seiner Erstbefahrung der Nordwand der Blanche de Perroc: Nach einem ersten Fehlversuch 2010 gelang es ihm 2014, den „Diamanten des Val d’Herens“ auf einer beinahe direkten Line zu befahren. Internationale Aufmerksamkeit und weltweit großes Medieninteresse erweckte 2015 seine Erstbefahrung der 600m langen und bis zu 60° steilen Dent Blanche Ostwand (4.357m).

Aufgewachsen ist Gilles Sierro in Hérémence, auf halber Strecke zwischen Chamonix und Zermatt. Schon mit 2 Jahren steht er auf Ski und verfolgt eine klassische alpine Rennkarriere, bis er im Alter von 16 Jahren auf Freestyle umsteigt. Heute arbeitet er weltweit als Bergführer und an seinen Steep Skiing Projekten.

Wir trafen den Steep Skiing-Spezialisten zum Interview.

FS.net: Hallo Gilles! Kannst Du uns und unseren Lesern erklären, was genau Steep Skiing für Dich bedeutet?
GS: Steep Skiing kann für viele Leute eine Menge unterschiedlicher Dinge beinhalten. Für mich ist Steep Skiing eine Art Solo-Alpinismus auf Ski, Skifahren wo andere davon träumen klettern zu gehen. Das heißt jede Menge technisches, ausgesetztes Skifahren und viel Zeit in der „No-Fall-Zone“.

Was ist für Dich das Besondere am Steilwandfahren?
Als Steilwandfahrer gehst Du ein hohes Risiko ein – die Belohnung dafür ist aber ebenfalls sehr groß. Wenn man in diesen Wänden Ski fährt, fühlt man sich winzig und zerbrechlich und man findet zurück zu seinem wirklichen Selbst: Das Leben in diesen Höhen ist sehr einfach und reduziert, alles was zählt ist der nächste Turn. Und dann der nächste. Und so weiter, bis man unten angekommen ist. Da bleibt kein Platz für Ablenkung oder belastende Alltagsfragen.

Angenommen, ich wollte mit Steep Skiing starten. Was wäre Dein Rat?
Zuallererst: Trainiere, und trainiere hart dafür! Du musst Dir über die Risiken im Klaren sein und sie akzeptieren – oder nicht. Dann brauchst Du erstmal Geduld – warte auf die besten Bedingungen. Starte nicht gleich mit dem Everest, sondern beginne klein und steigere Dich im Lauf der Zeit – Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Und nicht zuletzt musst Du wissen, warum Du das machst.

Ich habe mich also entschieden, was packe ich in meinen Rucksack?
Selbstverständlich Deine Lawinenausrüstung, die ist obligatorisch. Außerdem 40m 5mm Seil sowie Steigeisen und Eisaxt. Ein paar zusätzliche Layering-Teile um für alle Wetterbedingungen gerüstet zu sein und Coca-Cola – die gibt Dir schnell einen Energieschub, wenn Du nötig hast.

Spinnen wir die Geschichte weiter: Es ist also soweit! Was jetzt?
Spätestens hier kommt der Safety-Aspekt ins Spiel, jetzt gilt es: Sei um Himmels Willen geduldig und fahre nur Ski, wenn die Bedingungen es zulassen! Gehe die Befahrung nur an, wenn Du Dich fit und bereit dafür fühlst – sowohl körperlich als auch psychisch. Bei dieser Hangneigung fährt jeder einzeln, immer. Und wahrscheinlich das Wichtigste: Sei jederzeit bereit, die Reißleine zu ziehen, wenn es nicht passt. Better safe than sorry!

Wenn ich nun genug Können, Wissen und Erfahrung habe – welche Steilwandabfahrten sollten auf meine Bucketlist?
Puh, die Wunschliste muss jeder Steep Skier für sich selbst schreiben, aber die Holzerrinne gehört auf jeden Fall drauf. Mich begeistert viel in Italien: Torre Independenza Couloir, Valscura Couloir oder auch La Brenva. Auch das Dragon Spine Couloir in den USA gehört für mich zu den schönsten. Meine persönlichen Highlights sind aber die Befahrungen, die ich in der Schweiz, teilweise direkt vor meiner Haustüre gemacht habe: Die Nordwände des Mont Blanc de Cheilon und natürlich der Blanche de Perroc sowie das West/Südwest Couloir der Dent Blanche.

Was ist das Beste an Deiner Steep Skiing Karriere?
Ganz klar die Erstbefahrung der Dent Blanche gemeinsam mit zwei Freunden. Gleichgesinnte Menschen zu treffen. Und die Tatsache, dass man überall wo man hinkommt Skilines zu sehen bekommt. Das geht Dir in Fleisch und Blut über.

Und was ist das Schlimmste?
Gute Freunde, Weggefährten und Gleichgesinnte zu verlieren. Manchmal auf halebm Weg umkehren zu müssen, obwohl man doch die ganze harte Arbeit investiert hat. Und die Tatsache, dass man immer und überall beginnt, Skilines zu sehen. Das wird ein integraler Bestandteil Deiner selbst. Und ja, das ist gleichzeitig super und schlecht!

Ich bin zwar noch unentschlossen, ob Steilwandfahren wirklich was für mich ist, aber es war auf jeden Fall spannend! Vielen Dank für Deine Zeit Gilles, und viel Glück für Deine kommenden Projekte!
Bitte gerne! Und falls Du zuerst mal nicht alleine unterwegs sein möchtest: Ich gehe als Bergführer auch mit Kunden Steilwandfahren! ;-)

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