Der "Skidoc" im Interview: Dr. Christian Schenk

Der "Skidoc" im Interview: Dr. Christian Schenk

Von Andreas Haslauer am 24.Jan. 2022

Er ist einer erfolgreichsten Ski-Ärzte der Welt: Doc Christian Schenk. Der Österreicher hat mehr als 50.000 Menschen operiert, darunter Weltmeister und Persönlichkeiten wie Caroline von Monaco. Im Interview erklärt der 1,96 Meter große Unfallchirurg, warum er bei seinen Operationen immer barfuß im Blut steht, wieso Hobby-Fahrer mehr Ski-Gymnastik wie in den achtziger Jahren machen sollten und wie er bald mit einem Cocktail in der Hand vom Strand aus operieren und Anweisungen geben wird. Und wenn ein Patient mal nicht so viel Geld hat, dann lässt sich der Herr Doktor von Bauern mit Beeren bezahlen oder schickt die Rechnung gleich an das Christkind.

Herr Doktor Schenk, mit Verlaub: Ihre Klinik hier in Schruns sieht aus wie ein Robinson Club mit Fitnessraum, Pool, Bar und Tennisplatz.
Es gibt nix Besseres. Ich habe mir den Traum eines jeden Chirurgen erfüllt. Aufgebaut habe ich mir das alles selbst: Schritt für Schritt, ohne Unterstützung, ohne fremde Investoren.

Wie viele Leute arbeiten für Sie?
In den Hochzeiten sind es bis zu 120 Leute in der Klinik, bei der Helikopter-Linie fünf Piloten und 14 Flugretter. Das ist ein Traum. Wenn ich mal ein neues MRT-Gerät oder einen neuen Heli möchte, dann frage ich meine Frau. Sie ist hier der „Chief Financial Officer“. Veronica ist ein kongenialer Partner, meine Dual-Seele. Ihr gelingt es immer mich einzubremsen, wenn mal wieder die Gefahr besteht, dass ich mich völlig vergaloppiere (grinst).

Gibt es auf dieser Welt noch einen anderen Arzt der ein eigenes Spital und ein Flugunternehmen hat?
Ich habe noch von keinem anderen gehört.

Wann geht es bei Ihnen morgens in der Früh los?
Am späten Vormittag komme ich hierher und spiele erstmal eineinhalb Stunden Tennis, schließlich geht es im Leben um „S“ und „X“: um Spaß und „X-undheit“.

Mittlerweile sind Sie schon 67 Jahre alt…
…und habe die gleiche Gaudi wie am ersten Tag. Solange ich Spaß an meinem Beruf habe, denke ich doch gar nicht ans Aufhören. Warum auch? Thomas Gottschalk ist ja mit seinen 70 Jahren im Fernsehen auch wieder omnipräsent. Warum? Because it's fun!

Wie geht es nach dem Tennis-Match weiter?
Dann gehe ich zu meinen Patienten. Sie müssen wissen: die Lifte machen um halb neun auf, ab 11 Uhr kommen schon die ersten „Gäste“ mit dem Krankenwagen oder Heli zu uns.

Und dann in den OP?
Gegen 15.00 Uhr gehe ich in unseren Pavillon Mittag essen. Und dann geht's los.

Sie fangen abends um vier erst so richtig an zu arbeiten?
Ich arbeite und lebe wie die New Yorker, eben a bisserl zeitversetzt. Das liegt daran, dass ich ein unausstehlicher Morgen-Muffel bin. Frisch gestärkt geht's in den OP.

Für wie lange?
„Mal schaun, was der Berg heut' so abwirft“ (lacht). Gestern Nacht war um ein Uhr Feierabend, also eine wirklich humane Zeit. In den heißen Phasen habe ich am nächsten Morgen beim Bäcker noch frisches Brot für meine Familie zum Frühstück geholt.

Sie arbeiten 24 Stunden durch?
Bis zu 12 Stunden. Ich achte aber darauf mindestens sechs Stunden Schlaf zu haben. Von Ende November bis Ende April geht es bei uns immer heiß her.

Arbeiten Sie auch Weihnachten und Sylvester?
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich im Winter auch nur einen Tag nicht gearbeitet hätte. Wichtig ist, dass die Patienten schnell operiert werden, schließlich liegt mir das Wohl von ihnen am Herzen.

Warum diese Dringlichkeit?
Als ich während meinem Militärdienst als „Senior Medical Officer“ für die UN-Friedenstruppen auf den Golanhöhen im Einsatz war, sagte ein israelischer Sanitäts-Offizier der Luftwaffe zu mir den wohl wichtigsten Satz in meinem Berufsleben: „FROM THE BATTLEFIELD TO THE OPERATING TABLE WITHIN TWO HOURS“, also möglichst rasch vom Unfallort bis auf den OP-Tisch. Dieser Satz hat sich in mein Hirn gebrannt, denn je schneller die Soldaten auf dem OP-Tisch lagen, desto schneller und besser war ihre Genesung.

Der deutsche Versicherungsvertreter aus Gummersbach oder die Verwaltungsangestellte aus Ennepetal muss aber nicht gleich wieder an die Front.
Das nicht, aber statt drei Wochen müssen sie nur drei Tage im Krankenhaus bleiben. Mehr noch: der Heilungsverlauf und die Reha verkürzen sich um ein Vielfaches.

Ist es nicht fürchterlich anstrengend 12 Stunden im OP-Saal zu stehen?
Anstrengend ist es auf den Golanhöhen, wenn ein kleiner Junger vor Ihnen liegt bei dem ein Schädelknochen ins Hirn ragt und sie kein vernünftiges OP-Besteck haben. Den Moment hingegen, als der kleine Mahmut nach der OP aufwachte, werde ich nie vergessen. Wenn Sie den kleinen Burschen Monate später zufällig quietschfidel auf der Straße wiedersehen und er sie mit seinen Kinderaugen anlächelt, dann ist das ein unbeschreibliches Glück.

Wie viele Operationen haben Sie schon gemacht?
Seit 1994 in meiner Klinik 48.300, mit denen davor weit über 5.0000. Für mich gibt es nichts Schöneres, als wenn Menschen hier wieder aufrecht und gesund aus meiner Klinik gehen.

Warum operieren Sie stets mit nackten Füßen?
Mein Oberarzt in Kitzbühel war in meinem ersten Jahr gefühlt einen halben Meter kleiner als ich. Das bedeutet: ich musste mich immer am OP-Tisch nach unten beugen. Also zog ich meine Clogs aus, damit mir mein Rücken nicht so weh tat. Bei den arthroskopischen Eingriffen rinnt aber ständig Blut runter. Also waren weiße Tennissocken auch keine Lösung. Ich entschied mich barfuß zu operieren, dadurch habe ich das beste Bodengefühl.

Was machen Sie anders als alle anderen?
Keine großen Schnitte, wenig Narben.

Ein Magazin bezeichnete Sie als „Grenzverschieber“. Können Sie noch was lernen?
Ich bitte Sie! Alles andere wäre Hybris und Selbstüberschätzung. Jeden Monat lese ich die deutsch-, französisch- und englischsprachige Literatur zu meinen Themen durch. Natürlich gibt es immer wieder Artikel, die ich nicht so gut finde. Nur Zeitungen zu lesen, die meine eigne Meinung widerspiegeln, wäre unsinnig.

Reflektieren Sie sich selbst?
Jede Nacht unter der Dusche-statt singen. Ich überlege, wie man diese oder jene Situation im OP besser hätte machen können. Oft beschimpfe ich mich als „Trottel“ oder „Vollpfosten“. Das gute aber ist: das bekommt ja keiner mit, alle schlafen um die Zeit (lacht).

Wollten Sie schon immer Arzt werden?
Mein Großvater war Chirurg, mein Vater Internist, das „Arzt sein“ wurde mir in die Wiege gelegt. Mir ist das mit 16 im Schullandheim klargeworden. Ein Mitschüler verletzte sich beim Skifahren. In mir kam das Helfer-Gen hoch, ich schmierte sein kaputtes Knie ein, massierte es, ohne zu wissen was ich da so mache. Sieben Jahre später war ich Österreichs jüngster Arzt.

Eigentlich wollten Sie doch Tennis-Profi werden!
Es war eine Entscheidung für meine Berufung und gegen meine sportliche Leidenschaft. Ich habe mich also für den weißen Arzt-Kittel und gegen das weiße Lycra-Leiberl entschieden.

War es eine einfache Entscheidung?
Natürlich nicht. Um die Welt jetten, Tennis spielen und dabei noch Geld verdienen – das sind schon Dinge, die mir als junger Spund gefielen. Einerseits. Anderseits habe ich zu mir gesagt: „Christian, sei ehrlich: ein Thomas Muster, der die French Open, gewinnt wirst Du nie.“ Es war ein Akt der Vernunft. Nach der Tennis-Dekade habe ich gesagt: das war es. Danach folgten erst zehn Jahre Windsurfen dann zehn Jahre Golf, immer volle Pulle.

Sie machen alles extrem.
Ich liebe das „Alles-oder-nichts“-Prinzip. Für mich gibt es immer nur eine Devise: entweder mache ich es gleich gescheit oder gar nicht.

Sind Sie ein Kopf- oder ein Bauchmensch?
Das weiß ich nicht. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich ein intuitiver Mensch bin, ein Gefühl für Menschen und ihre Bedürfnisse habe.

Mit dieser Erkenntnis haben Sie 1989 Zimmer im Kurhotel Schruns angemietet und in der selbst renovierten Kuranstalt, die Sie zu einer unfallchirurgischen Praxis mit einem OP umgebaut haben, operiert.
Als Unfallchirurg und Sportmediziner habe ich mich von Anfang an auf die endoskopische Gelenkschirurgie und minimalinvasive Frakturen-Behandlung spezialisiert. Ich wollte einfach Zeit und Kosten sparen. Als ich die ersten operierten Kreuzbänder schnell bewegen und belasten ließ hielten mich viele für verrückt. Heute macht das jeder. Heute können wir auch dank der technischen Unterstützung und perfekten OP-Vorbereitung durch hochauflösende 3D-Bilder brutale Trümmerbrüche arthroskopisch operieren. Von knapp 150 Schienbeinkopf-Frakturen habe ich im vergangenen Winter nur drei „offen“ operieren müssen.

Das hört sich nach einem Metzger an.
Ich habe noch gelernt das Messer voll durchzuziehen – aber nur, wenn es nicht anders geht. Es ist wichtig auch die offene Chirurgie zu beherrschen.

Sie haben mal gesagt, dass sich am Anfang ihrer Arzt-Karriere die „richtigen Leute weh getan haben.“
Kaum habe ich die Bäder im Kurhotel saniert, standen schon die ersten vor meiner Türe. Einer meiner ersten Patienten war Olympiasieger Patrick Ortlieb, dann Weltmeister Marc Girardelli. Mit dem Skirennfahrer-Ehepaar Anita Wachter und Rainer Salzgeber ging es weiter, dann kam Fritz "the Cat" Strobl der noch immer den Rekord in Kitzbühel hält sowie Hahnenkamm-Sieger Büchel. Bei mir lagen Ski-Legenden wie Ivica Kostelic oder Bode Miller auf dem OP-Tisch.

Die Anzahl der Operationen schätzten Sie aber am Beginn völlig falsch ein.
1989, also im ersten Jahr planten wir für das Gesamtjahr 200 Operationen. Bis September hatten wir schon 500 Leute zusammengeflickt. Deswegen mussten wir nach fünf Jahren nach einer neuen Bleibe suchen. Mein Bruder war Architekt, baute für mich vier Jahre später das "Sport & Chirurgie Sanatorium Dr. Schenk" auf 2.400 Quadratmetern.

Davon profitieren noch heute Ihre Patienten. In der Vorsaison verletzten sich laut der „Auswertungsstelle für Skiunfälle“ bis zu 46.000 deutsche Skifahrerinnen und Skifahrer. So viele, wie seit zehn Jahren nicht mehr. Was sind die Gründe dafür?
Das Tempo und die Energie in der Kurve. Die Leute meinen immer, dass sie ihre Carving-Ski beherrschen würden. Das ist ein Trugschluss. Hinzu kommt die Höhe hier im hochalpinen Gelände. Wenn ich das ganze Jahr über als "Flachlandtiroler" im Büro arbeite und ohne Vorbereitung auf 2.500 Meter hochlifte und meine so runterschießen zu können, dann geht das nicht immer gut.

Was sollten sie tun?
In den 80-ern bereiteten sich die Menschen zusammen mit Rosi Mittermaier und Christian Neureuter noch mit Ski-Gymnastik im Bayerischen Fernsehen auf den Winter vor. Heute nur auf YouTube Ski-Videos anzuschauen, reicht halt nicht.

Gibt es während der Saison Unterschiede bei den Verletzungen?
In den ersten drei Winter-Monaten, also von Dezember bis Februar, habe ich meist Brüche auf dem Tisch, weil in dieser Zeit die Pisten durch den Kunstschnee und die Kälte knallhart sind. Im März und April, wenn der Schnee weicher ist, kommen mehr Weichteilverletzungen. Die Folge sind kaputte Schultern mit Band- und Sehnenverletzungen sowie Luxationen, natürlich auch das übliche Programm hinsichtlich Oberschenkel und Unterschenkel. Und dann gibt es noch den Unterschied zwischen jungen und älteren Skifahrern.

Der da wäre?
Je älter die Skifahrer werden, desto schwächer sind die Knochen. Meist halten die Bänder bei einem Sturz das Knie noch zusammen, dafür nehmen die Schienbeinkopf-Frakturen bei Menschen ab 50 rapide zu. Haben Sie den James Bond-Film „Goldfinger“ gesehen?

Natürlich.
Da gibt es doch die eine Szene wo das Auto in der Schrottpresse zerquetscht wird. So sieht der Schienbeinkopf bei einem „Best Ager“ nach einem kapitalen Sturz aus.

Denken Sie sich manchmal: Warum fährt der oder die überhaupt Ski?
Ich lebe mit meinen Patienten in der Gegenwart und der Zukunft. Die einzige Frage, die ich mir stelle, ist: wie bekomme ich die Frau oder den Mann so schnell als möglich zurück in sein privates, berufliches und sportliches Leben. Das, was mir hingegen Sorgen bereitet, ist der Speed. Die Skifahrer haben so viel Geschwindigkeit wie ein Motorradfahrer drauf, ebenso bei Unfällen leider nicht selten das gleiche Verletzungsmuster.

Das müssen Sie bitte erklären.
Früher war der klassische "Skihaxen" ein Drehbruch des Unterschenkels, als nächstes kamen die modernen Kunststoffskischuhe mit der Kraftübertragung ein Stockwerk höher. Es folgten Kniebandverletzungen, Schienbeinkopfbrüche, Hüftfrakturen- und Luxationen. Und dann kam der Carvingski. Dieser brachte eine massive Erhöhung der Energie während der Schwungphase, mit der nicht jeder umgehen kann.

Hat der Carving-Ski auch Ihre Arbeit verändert?
Grundlegend. Der Carving-Ski ist eine super Sache – wenn man ihn fahren kann. Im Slalom fällt das bei dem Schweizer Ramon Zenhäusern auf. Zenhäusern ist 2,02 Meter groß und rauscht mit seinen langen Haxen nur so um die Stangen herum. Er steht mit seinen „Giraffen-Beinen“ voll auf der Kante und hat einen Riesen-Hebel – Lieschen Müller kann das halt nicht.

Warum?
Weil Lieschen weder die Kraft und Muskeln noch die Skitechnik hat. Sie müssen wissen: diese Ski wurden ursprünglich als reine Renngeräte für Tempo 80 km/h aufwärts konzipiert.

Was ist ihr Tipp?
Der Freizeitsportler sollte solche Rennbestien nicht mehr anschnallen und sich mit Rückenprotektoren, Ellbogen- und Handgelenksschützern wie ein Eishockeyspieler ausrüsten.

Was ist mit dem Helm?
Ein Helm ist heute so wie beim Fahrradfahren moralische Pflicht.

Was hat sich bei den Profis verändert?
Wenn es einen bei 150 Sachen im Zielsprung auf der Streif in Kitzbühel in der Luft zerreißt, weiß ich, was kommt: Schädel-Hirn-Trauma, Schlüsselbeinbruch, Kreuzbandriss - die ganze Palette der hochenergiebedingten Traumatologie. Da wirken so unglaubliche Kräfte auf die Rennfahrer ein, das kann sich kein Mensch vorstellen.

Der einzige Schwachpunkt, sagt Weltmeister Aksel Lund Svindal, den es auf der Abfahrt gebe, sei der Körper. Beispiele sind Kjetil Jansrund und Max Franz. Die beiden erlitten schwere Verletzungen ohne, dass sie dabei stürzten. Jansrund brach sich wegen den harten Schlägen die Hand, Franz zerschmetterte sich im Skischuh seine Ferse.
Die Schläge, die sie dort einsteckten, sind mit fast nichts zu vergleichen. Svindal hat mal gesagt, das sei in etwa so, als würde man mit einem Auto mit 100 Sachen frontal gegen eine Bordsteinkante fahren. Der Reifen, die Felgen, alles sei dann einfach kaputt.

Sie haben Ihr Spital mit einer Fertigungsstraße eines Auto-Werkes verglichen. Wieso?
Was macht ein Pilot, bevor er mit 400 Passagieren abhebt? Er checkt sein Flugzeug und bereitet seinen Flugweg professionell vor. Und bevor zum Beispiel ein Auto das Werk verlässt, durchläuft es alle wichtigen Qualitäts- und Prozesskontrollen. Einige Versicherungen meiner Patienten meinen, dass dies nicht notwendig sei. Damit habe ich ein Problem, da offensichtlich das Grundprinzip der professionellen Prozesskontrolle noch nicht ubiquitär bekannt ist. Bevor ich einen Patienten entlasse, mache ich ein postoperatives CT oder MRT. Egal, ob die Versicherung zahlt oder nicht, schließlich will ich jeden Patienten mit dem bestmöglichen Gefühl und Sicherheit nach Hause schicken. Ich kann doch nicht sagen: „Hier ist Ihr neuer Golf. Ob er bei Tempo 160 auseinanderfällt, wissen wir nicht.“

Nehmen Sie auch Kassen-Patienten?
Für Leute, die Hilfe brauchen, finde ich immer eine Lösung. Ich mache keinen Unterschied, ob ein Ski-Weltmeister, ein VIP oder ein Landwirt aus dem Silbertal zu mir kommt von dem ich weiß, dass er mich „nur“ mit Brombeeren bezahlen kann.

Und wenn die Versicherung nicht bezahlt?
Bei Bedürftigen senden wir die Rechnung an das "Christkind", mit einem vom Patienten geschriebenen Brief. Auf deutsch: dann nehme ich die Kosten auf meine Kappe, weiß aber, dass bei der OP alles geklappt hat und er/sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wieder gesund wird. Diesen Luxus leiste ich mir. Es gibt aber auch Patienten, die lehne ich ab.

Ernsthaft?
Natürlich. Chirurgie heißt, dass ich invasiv bin, ich muss also in den Patienten hineingehen mit meiner Arbeit. Das heißt aber auch im Gegenzug, dass der Patient mich auch hineinlassen soll, mir vertrauen muss. Manchmal kommt es vor, dass dieses Vertrauen und die Bereitschaft von Seiten des Patienten fehlt, für so etwas entwickelt man im Laufe der Jahre eine spezielle Sensibilität. Dann sage ich: „Hören Sie zu, ich glaube, ich bin nicht der Richtige für Sie, es gibt da draußen in Ihrem Fall irgendwo einen besseren Arzt als mich.“

Sind die Patienten dann sauer auf Sie?
Bitte, wo denken Sie hin? Ich bin ein Wiener, ich versuche das freundlich zu übermitteln: sofern ich die Energie habe (grinst). Der Patient muss zu uns passen. So einfach ist das.

Wer passt per se nicht?
Wir behandeln keine Wirbelsäulen-Frakturen die operiert werden müssen, die komplette Diagnostik und Erstversorgung führen wir natürlich gerne durch bevor wir sie zu einer kompetenten Versorgung weiterschicken. Das Gleiche gilt für intensivpflichtige Schädel-Hirn-Traumata, ansonsten machen wir bis auf Prothesen an der oberen und unteren Extremität praktisch alles. Für Trümmerhaufen und wilde Frakturen an der Schulter, Arme und Beinen sind wir in aufgrund unserer Erfahrung in den Alpen sicher eine ganz gute Adresse.

Werden Sie am OP-Tisch noch nervös?
Natürlich. Allerdings habe ich fast schon fast alles gesehen und erlebt, schließlich habe ich habe jahrzehntelang am und im Grenzbereich gearbeitet.

Haben Sie auch Grenzen verschoben?
Dort, wo es möglich war, habe ich mich schon immer über die Grenzen hinausgewagt. In den Jahren habe ich die Intuition des Alters sehr zu schätzen gelernt. Bei meinem alten Tennis-Club „WAC“ in Wien haben wir zu den betagten Spielern, die die Jüngeren schlugen, immer gesagt, dass sie mit der „ekelhaften Routine“ spielen würden.

Wie haben Sie sich in den vergangenen Jahren verändert?
Ich habe mich mit der Technik weiterentwickelt. Sie haben ja gerade mein Büro gesehen, da stehen drei Bildschirme drin. Auf dem einen ist die Krankenakte, auf dem zweiten die Kernspin-Untersuchung (MRT) und auf dem dritten die Computer-Tomografie, die ich dreidimensional anschaue, um die verschiedenen Strategien der geplanten OP zu simulieren. Das alles schaue ich mir vor einer OP ganz genau an, ähnlich wie ein Skirennfahrer die Eispiste in Kitzbühel inspiziert.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Alles aus der Ferne zu steuern. Eines Tages werden wir ein Visualisierungs-Programm haben, das mir ermöglicht, mit einem Cocktail am Strand zu sitzen und zu sagen: „Burschen, bitte seid so nett und macht jetzt dieses oder jenes“. Machen muss er es dann natürlich selbst. Ich beginne schon heute mit dem Training des eigenen Nachwuchses.

So wie beim roboterassistierten Operationssystem „Da Vinci“?
Wenn in Bälde die Datenübertragungsgeschwindigkeiten schnell und stabil sind, wird es auch von der Ferne möglich sein mit einem Robotersystem, das mein verlängerter Arm ist, zu operieren. Das ganze Feld wird mir – wo immer auf der Welt ich auch bin – dreidimensional und hochauflösend dargestellt. Genial! Da kommen wir zu Ihrer ersten Frage zurück. Das ist dann wie im Robinson Club. Oder auf jeden Fall dort, wo es richtig schön warm ist.

Dass ein Mediziner erfolgreich ist und auch noch betriebswirtschaftlich ein Händchen hat, ist eher selten. Zumindest so selten, dass kein anderer Arzt eine eigene Klinik und ein eigenes Helikopter-Unternehmen hat.
Darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass das an meiner Kindheit liegt. In Wien bin ich im zweiten Bezirk aufgewachsen. Dort leben viele freundliche und hochintelligente Juden die in Wien liebevoll „die Insrigen“ genannt werden. Von den geschäftstüchtigen Menschen habe ich wohl viel gelernt, genauso habe ich in meiner Jugend den älteren Geschäftsleuten am WAC-Tennisclub gut zugehört und die Geheimnisse des Wiener Schmelztiegels in mich hineingesaugt.

Sie lieben Ihren Beruf.
Mein Beruf ist neben meiner Frau Veronica meine große Liebe. Wie schon zu Anfang gesagt: Es gibt einfach nix besseres…

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