Buchrezension: Freeski Tirol

Von Bernhard Scholz am 9.Jan. 2013

Kurz vor Weihachten fiel uns dieses Buch in die Hände. Um ehrlich zu sein, ist es bereits jetzt schon total zerlesen. Das hat sehr gute Gründe. Warum wir das gute Stück, welches sich dem Steilwandskifahren im Bereich der Mieminger Kette widmet, nur ungern wieder aus der Hand legen wollten, darüber gibt Euch unsere Rezension Aufschluss.

Langweilige breite Masse
Skitourenführer gibt es viele, die meisten beinhalten nichts als ein recht wahlloses Sammelsurium an Touren der verschiedensten Schwierigkeitsgrade. Beim Durchblättern und spätestens dann, wenn man die Vorschläge in die Praxis umsetzt, fällt auf, dass die Autorenschaft sich oft nicht die Mühe gemacht hat die beschriebenen Touren selbst durchzuführen. Das kann nicht nur ärgerlich sondern auch gefährlich sein. Was weiterhin auffällt ist, dass es im deutschsprachigen Raum so gut wie keine Führer gibt, die auch wirklich schwere Routen abdecken.

Das Argument: „Man darf doch keine schweren Touren beschreiben, da sich dann Anfänger und „Trottel“ darin verirren würden und gerettet werden müssten oder sich selbst in Gefahr bringen.“ (was sich allerdings noch nie bewahrheitet hat). Aus diesem Umstand ist unter anderem ein bedauerlicher Mangel an Informationen zu Routen, Erstbefahrern und Daten entstanden.

Interessante Aufstiege und Abfahrten musste man mit der Lupe suchen
Über die Jahre ist im deutschsprachigen Raum, verglichen mit der französischen und italienischen Führerlandschaft, ein Vakuum entstanden. Man hatte fast den Eindruck, in den heimischen Bergen gäbe es kaum ambitionierte Skialpinisten und man müsse immer nach Frankreich, in die Schweiz oder nach Italien ausweichen. Geheimtipps, Hörensagen, Hinweise von Bekannten, darauf hat man sich bisher verlassen müssen wenn man etwas schwierigeres als das Standartprogramm haben wollte. Sofern man gerne Infos vorab hat, was bei dem Gros der Skialpinisten der Fall ist.

407 Seiten über ein bislang für Skitouren eher unbekanntes Gebiet
Nun kommt Reini Scherer und füllt mit seinem Werk diese Lücke. Das Buch „Freeski Tirol“ konzentriert sich, wie der Titel schon sagt, auf die Mieminger Kette. Eine Gebirgskette südlich der Zugspitze und westlich von Innsbruck, gar nicht so weit von München entfernt. Wild, scheinbar unnahbar, erspäht man sie von der Fernpassstrasse und der Inntalautobahn. Dem ungeübten Auge fallen nicht sonderlich viele offensichtliche Abfahrten auf. Doch es gibt genug zu tun: Ganze 407 Seiten und etwa 140 Routen umfasst das vorliegende Werk. Beachtlich.
 
Reini Scherer ist jede Tour selbst gefahren
5 Jahre hat es gedauert bis Reini alle Touren durchgeführt und die Zeit gefunden hatte sie in einem Buch zu bündeln. Er schreibt darüber hinaus, dass das vorliegende Buch eigentlich kein Tourenführer ist, sondern eine Dokumentation der Befahrungen in der Mieminger Kette. Als Planungsgrundlage ist das Buch aber natürlich trotzdem, aufgrund der vertrauten Paniko Aufmachung und den exzellenten Übersichtsfotos, gut verwendbar. Die Voraussetzungen, die man mitbringen muss, um die jeweiligen Aufstiegs- und Abfahrtslinien sicher zu meistern, werden ebenso beschrieben wie die Voraussetzungen, welche an die herrschenden Bedingungen gestellt werden. Ganz ähnlich zu einem Führer für alpine Kletterrouten.

Viele der beschriebenen Routen sind Skialpinismus in reiner Form und die Beschreibungen erinnern daher auch an die in Alpinführern. Wie in Kletterführern auch ist bei den Tourenbeschreibungen sofort klar, ob man der Sache gewachsen ist oder nicht und man liest gerne auch mal da weiter, wo das eigene Können schon aufgehört hat. Man kommt aus dem Schmökern nicht heraus. Alleine die zahlreichen kleinen Anekdoten, die sich in den Tourenbeschreibungen verstecken, sind schon lesenswert und erzählen viel vom echten Skialpinismus.

Verwendung einer leicht abgewandelten Form der Voloskala
Zur Einschätzung der Touren trägt auch die klare und eindeutige Schwierigkeitsskala bei. Im deutschsprachigen Raum war dies längst überfällig. Lediglich in Insiderkreisen hatte sie sich aufgrund ihrer bestechenden Einfachheit schon eingebürgert. Es wird eine leicht modifizierte Variante der praktischen Voloskala verwendet. Sie ist, wie alle Kletterskalen auch, nach oben offen und bildet insbesondere auch im oberen, dem interessanten Teil die Schwierigkeit sehr gut ab, nämlich exponentiell! Außerdem ist sie dreigliedrig, unterscheidet zwischen Aufstieg, Abfahrt und Gefährlichkeit. Jeder Aspirant kann auf dieser Grundlage sehr genau einschätzen, welche der Routen seinem Niveau entsprechen oder eben nicht.

Titelwahl zeugt von Umsicht
Wenn es um schwere Skirouten geht, hat sich hierzulande eine Unsitte breit gemacht. Das Wort „extrem“ wird sehr leichtfertig genannt. Das Allermeiste ist von besagtem „Extrem“ allerdings sehr weit entfernt. Das persönliche Limit von Einzelpersonen hat schließlich nichts mit der tatsächlichen Grenze des Machbaren zu tun. Das muss man akzeptieren, so wie man auch akzeptiert keine Mondlandefähre steuern oder 200 Meter tief ohne Sauerstoffgerät tauchen zu können.

Das erreichen oder gar überschreiten solcher reellen Limits bleibt nur einer sehr kleinen Elite vorbehalten. Reini Scherer hat entsprechend den Buchtitel gewählt und nicht „Extremskifahren Tirol“ drauf geschrieben. Das zeugt von Umsicht und Erfahrung. Reini hat den Schritt zurück gemacht und mit Abstand auf das Werk geblickt, es entsprechend in den weit gefassten Überbegriff „Freeski“ eingeordnet und demnach auch benannt. Dass dennoch (nicht wenige) extreme Routen enthalten sind, versteht sich von selbst.

Fazit – „Musthave“
Auch wer nicht nahe der Mieminger Kette lebt und dort vielleicht nie eine Tour gehen wird, sollte sich dieses Buch holen. Es ist der erste deutschsprachige Tourenführer, der sich mit Akribie und Hingabe dem Thema Steilwandskifahren widmet. Dabei wir eine Region in seiner kompletten Fülle abgedeckt, was nochmals ein bis dato unerreichtes Novum darstellt. Die Einführung der Voloskala (wenn auch in abgewandelter Form) war hierzulande in einem Tourenführer zudem überfällig. Durch Reini Scherer wird sie anschaulich erklärt und im Buch selbst kann man auch gleich sehen was welcher Schwierigkeit entspricht (und so mancher wird dabei möglicherweise geerdet werden).

Das Buch ist insbesondere auch deshalb für Leser interessant, die nicht in der Region der Mieminger aktiv sind, weil es inspiriert. Es öffnet die Augen für die zahllosen Möglichkeiten die sich überall, wo Berge sind, auftun. Man muss nur hin schauen, dann findet man auch noch vor der Haustüre Abfahrten, die vielleicht sogar noch unbefahren sind.
Hinterlasse eine Antwort
Bitte anmelden, um einen Kommentar zu posten