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Donnerstag, 31 Oktober 2019 14:13

Frauen-Ski 2019/20 – Eine Marktübersicht

1993 fanden erstmals 25 “frauenspezifische” Skimodelle ihren Weg in den Snow Country Magazine Test. Sie wurden durch die Bank als „recreational“ klassifiziert – ein wesentlich treffenderes Adjektiv wäre „entsetzlich“ gewesen. Nicht ein einziges der 18 Brands hatte Skifahrerinnen mit mehr als durchschnittlichen Fähigkeiten im Blick. Unsere Testcrew aus ausgezeichneten Skifahrerinnen begegnete ihnen mit unverblümter Verachtung.
 

Niemand produzierte ein ordentliches Frauenmodell, weil sämtliche Skihersteller das als vergebliche Liebesmühe und beim Fenster hinausgeworfenes Geld erachteten. Die Skientwickler – selbstverständlich Männer und selbst Skifahrer – und die Frauen, mit denen sie Ski fuhren, hatten keinen Bedarf an so etwas wie einem „Frauen-Ski“. Dennoch: Die Auswahl an frauenspezifischen Modellen wuchs zusehends, und bald hielt auch die „Performance“-Kategorie Einzug in die Skishops. Alle diese Modelle lagen in ihrer Performance jedoch immer noch weit unter jedem Raceski, den die Firmen im Sortiment hatten.

Ich habe diese Anekdote als Einleitung gewählt, weil sie einen Grundsatz aufzeigt, der in manchen Aspekten noch heute so existiert. Damals wie heute kommen die besten Skifahrerinnen aus dem Racebereich. In dieser Sportarena sind spezielle „Damen-Ski“ ganz einfach inexistent. Ein sehr großer Anteil an Profi-Skifahrerinnen, die nicht im Rennzirkus unterwegs sind, bevorzugt ebenfalls Unisex- bzw. Damenmodelle, die einfach nur eine Kopie des Herrenmodells darstellen.
 

Anders als vor 30 Jahren ist die Herstellung frauenspezifischer Modelle heute aber nicht mehr nur die Fingerübung für den Lehrling. Abseits des Race-Spektrums finden sich Damenmodelle in jeder Kategorie und Preisklasse. Blizzards Black Pearl 88 hat die Shops im Sturm erobert und die Rentabilität des Skimarktes für frauenspezifisches Equipment aufgezeigt. In welcher Weise und in welchem Ausmaß Frauen-Ski jedoch für die Bedürfnisse ihrer potentiellen Fahrerinnen adaptiert werden, steht auf einem ganz anderen Blatt – das in diesem Beitrag erläutert werden soll.

Ski für Frauen sind komplett anders! Oder?

Eines der Ziele in der Produktion eines frauenspezifischen Skis ist es, sämtliches überflüssige „Fett“ zu entfernen um den Ski leichter zu machen. Weil Frauen grundsätzlich leichter sind als Männer, sind Frauen-Ski von vorneherein schon mal weicher abgestimmt. Diese beiden Vorgaben treffen auch auf jeden Unisex-Freeride- oder Powderski zu: Jeder Ski, der breit genug ist um auf einem halben Meter fluffigem Neuschnee aufzuschwimmen würde eine Tonne wiegen, wenn er nicht hinsichtlich Gewichtseinsparung optimiert wäre. Das gleiche gilt für den Flex: Wenn man einen langen, breiten Ski in eine Eisenbahnschiene verwandelt, dann wird er von fehlerverzeihend meilenweit entfernt sein.

Lange Rede, kurzer Sinn: Je breiter der Ski, desto geringer die Unterschiede zwischen Damen- und Herrenmodell. Da die Konstruktionskriterien für die fettesten Latten bei Frauen und Männern dieselben sind, sind die entsprechenden „Geschwistermodelle“ tendenziell identisch. Das mag wie Faulheit vonseiten der Skihersteller aussehen, ist aber eine rational nachvollziehbare Entscheidung, denn der Markt für Frauen-Ski mit 100 mm und mehr an Mittelbreite ist winzig. Da zahlt sich das Geld für eine eigene Pressform einfach nicht aus.

Während breite Ski für Männer und Frauen sich sehr stark ähneln, sieht das bei Pistenski komplett anders aus. Es gibt keine Non-FIS-Raceski für Frauen, höchstens noch Performance-Modelle zwischen 67 und 74 mm Mittelbreite und natürlich die „Frontside“-Kategorie (75 – 84 mm). Bei den meisten Herstellern ist hier das schmalste Modell das Highlight und alle breiteren machen jeweils Abstriche in der Performance. Da die meisten Einsteiger mit dieser Kategorie beginnen, gibt es hier auch die häufigsten Abstufungen – in Sachen Leistung genauso wie in der Preisgestaltung.

 20191031 2 Kaunertal Testival 18 by Klaus Listl LOW Freitag

 

Ein Testerinnen-Team muss her!

Wenig überraschend investiert die Industrie in dieser Kategorie am meisten Zeit und Geld in die Entwicklung frauenspezifischer Modelle. Am spezialisiertesten dürfte hier immer noch die Head Joy-Linie sein, denn sie hat sich seit ihrer Entstehung niemals an einem Unisex-Ski orientiert. Völkl hat eine ganze Armada an Testerinnen, um für jeden Ski den optimalen Sidecut und die beste Bindungsposition herauszufinden.

Ähnlich arbeitet Elan mit dem W Studio, einer Gruppe aus Skitesterinnen, die seit 16 Jahren intensiv mit der R&D Abteilung der Slowenen zusammenarbeitet. Elan hat außerdem mit Melanja Korošec die einzige Chef-Produktdesignerin der Skiindustrie unter Vertrag.

Der Verkaufsschlager unter den Frauenski ist Blizzards Black Pearl 88. Richtig Fahrt nahmen seine Verkaufszahlen auf, als die Konstruktion entsprechend der Empfehlung der Women 2 Women Testerinnen adaptiert wurde. Der erstaunliche Erfolg des Black Pearl und seiner Spin-Offs animierte sämtliche Hersteller, mehr Ressourcen in ihre Frauen-Produkte zu investieren.

Auch der Bestseller bei Atomic ist ein Frauenski, der Cloud 9. Atomic entwickelt sämtliche Pistenski für Frauen komplett eigenständig bevor sie ausgiebig getestet und hinsichtlich Materialwahl, Konstruktion, Sidecut und Mounting Point feingetuned werden.

Kleine Skifirmen arbeiten oft anders, so z.Bsp. auch Liberty Skis, wie Chefdesigner Dan Chalfant erklärt: „Wir verändern den Sidecut in den kürzeren Längen der Frauenski und reduzieren die Breite des Tails. So können leichtere Skifahrer den Ski einfacher kontrollieren.“ Außerdem ersetzt Liberty bei den Frauen-Modellen den Pappel-Holzkern durch das leichtere Palownia, ansonsten bleibt die Konstruktion gleich. „Man braucht für Frauen keinen komplett unterschiedlichen Ski, wenn man mit einer guten Basis startet.“

Einer der ersten Hersteller, der das Potential des Skimarktes für Frauen erkannte, war K2. Das K2 Alliance Team arbeitet seit mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnten an den Details der frauenspezifischen Ski des Brands.

Auch Industriegröße Rossignol arbeitet mit einer Gruppe von Testerinnen an den Frauenski. Salomon, Nordica und Atomic testen in der Praxis ähnlich intensiv und lassen das Feedback der Testerinnen in die Entwicklung einfließen.
 

Warum sich die „schmalen“ Freerider verkaufen wie geschnitten Brot

Während in Europa die technischen Pistenski auch am Frauen-Markt eine Rolle spielen, ist diese Kategorie in den USA praktisch nicht vorhanden. Die Frontside-Modelle richten sich allesamt an mittelmäßige Skifahrerinnen. Die richtig breiten Latten sind super als Zweitski (und ehrlicherweise gehen mehr fette Powderlatten an Filmstars und Heliskiing-Unternehmen als am Markt verkauft werden), die meisten Skifahrerinnen, die gute Technik mitbringen und einen Allround-Ski suchen landen aber so zwangsläufig in der Freerider-Kategorie bei Modellen unter 100 mm Mittelbreite. Diese Ski sind für leichtere FahrerInnen breit genug um im Powder schön aufzuschwimmen, aber trotzdem schmal genug um sie auf der Piste auf die Kante zu stellen.

Die Geschichte hinter Völkls „Secret“ unterstreicht nochmals, warum gerade diese Kategorie einen dermaßen großen Markterfolg einfahren kann. Die Straubinger Skischmiede erkannte, dass die Einführung des neuen Mantra M5 die einzigartige Möglichkeit darstellte, das „Schwestermodell“ Secret zu optimieren. Natürlich hätte man ganz einfach den 95 mm breiten Mantra M5 nehmen und in kürzeren Längen produzieren können, so wie man es auch mit dem Kenja macht. Ausgiebige Feldversuche zeigten allerdings, dass eine 92 mm breite Version bei der Zielgruppe wesentlich besser abschnitt. Konsequenz: Der Secret hat eine etwas schmalere Taille, um den Bedürfnissen der avisierten Pilotin besser zu entsprechen.

Am Ende des Tages aber muss jedes Skibrand versuchen, Geld zu verdienen. Kein Skihersteller hat die finanziellen Mittel, um jedes einzelne Frauenmodell von Grund auf neu zu konstruieren. Einfach gesagt: Die Kosten dafür wären unverhältnismäßig hoch im Vergleich zu der vergleichsweise geringen Nachfrage.

 20191031 3 Kaunertal Testival 18 by Klaus Listl LOW Freitag

 

Und sie unterscheiden sich doch!

Ich möchte kurz auf die untenstehende Tabelle eingehen. Es handelt sich um eine nahezu vollständige Liste sämtlicher 2020 in den USA erhältlicher Frauen-Ski. Für jedes Modell wird dargestellt, welche Änderungen – falls es überhaupt welche gibt - im Gegensatz zum entsprechenden Unisex-Modell vorgenommen wurden. Vier Elemente werden untersucht:
  • - Konstruktion
  • - Material
  • - Mounting Position
  • - Sidecut

Weist ein Modell in jeder der vier Spalten ein X auf, so wurde es von Grund auf neu und spezifisch für Frauen konstruiert. Ein graues Feld bedeutet, dass es keinen Unterschied zum Unisex-Modell bei diesem Element gibt. Hat ein Ski also vier graue Felder, so wurde nur das Topsheet geändert.

Eine Gemeinsamkeit über alle Frauen-Ski hinweg sind die kürzeren Längen. Da der Holzkern für kürzere Skilängen grundsätzlich weniger stark gewählt wird, damit auch leichtere FahrerInnen den Ski gut flexen können, wurde dieses Element nicht berücksichtigt – das Prinzip kommt beiallen Ski zur Anwendung, egal an wen sie später verkauft werden sollen. Dasselbe gilt für Änderungen im Sidecut, die mit den unterschiedlichen Skilängen zusammenhängen und nicht mit dem Geschlecht per se.

Was ins Auge fällt

Was auf den ersten Blick auffällt ist, dass die meisten X bei den Pistenski zu finden sind. Die wenigsten Unterschiede in der Bauweise machen Hersteller offensichtlich bei den offpiste-lastigeren und Freeride-Ski. Von den vier identifizierten Modifikationen wird am weitaus häufigsten einfach der Mounting Point nach vorne verschoben (meist ca. 1 – 2 cm). Konsequentere und umfassendere Adaptionen sind anschließend eher in Sachen Konstruktion oder in der Wahl anderer, meist leichterer, Materialien zu finden als in einem veränderten Sidecut. Klar, denn ein veränderter Sidecut verlangt nach völlig eigenständigen Werkzeugen – den Aluminiumformen, in denen die Ski per Hand gepresst werden – und das kostet Geld.

Was die Tabelle nicht verrät ist das Investment, das jede Marke in das Abwägen der Alternativen steckt: Was könnte einen Ski besser geeignet für leichtere FahrerInnen machen? Salomon beispielsweise beschäftigt zwei unterschiedliche Testteams für Raceski und breitere Modelle. Trotzdem empfehlen beide meist dieselbe Lösung für Frauen und Männer. Die Tabelle liefert auch keinen Aufschluss über die zukünftige Ausrichtung eines Herstellers.

Das Schisma der Frauen-Ski

Was sie aber klar über die aktuelle Lage am Frauen-Ski-Markt zeigt: Es finden sich eine ganze Menge X, ebenso wie ein Haufen graue Kästchen. Das legt ein Schisma nahe, wie in der Industrie über frauenspezifische Ski gedacht wird. Einerseits wird eine empirisch abgeleitete Adaption der Modelle sowohl für die Frauen selbst als auch natürlich auch für das Unternehmen als sinnvoll angesehen. Die andere Seite der Medaille ist aber immer noch dieselbe wie 1993: „Der Ski kann ja wohl kaum unterscheiden, ob eine gute Skifahrerin oder ein guter Skifahrer mit ihm unterwegs ist – wozu brauchen Frauen dann überhaupt eigenständige Modelle? Wenn eine Skifirma ein, zwei frauenspezifische Modelle im Sortiment haben will, um schwachen Skifahrerinnen Stützräder verkaufen zu können, dann nur zu. Aber sie soll nicht versuchen, Skifahrerinnen zu helfen, die diese Hilfe weder brauchen noch wollen.“

Diese beiden Perspektiven werden sich nicht in Einklang bringen lassen und daher weiter bestehen, genauso wie der Überfluss an Angeboten speziell für Frauen. Wenn es einen Bereich gibt, in den mehr investiert werden sollte, dann ist das der Frontside-Bereich. Meiner Meinung nach gäbe es dafür auch eine einfach zu realisierende Lösung.

Anstatt die besten und am schwierigsten zu fahrenden Rennski zu adaptieren – die die Amerikanerinnen zudem meiden – könnten doch einfach Klone der Topski mit 80 oder 84 mm Mittelbreite hergestellt werden. Dabei geht es mir nicht darum, die Menge an kaum unterscheidbaren Mittelklasse-Ski für mittelgute Skifahrerinnen zu reduzieren. Die Hersteller sollten einfach ein, zwei High-Performance-Modelle zum Sortiment addieren um starke Skifahrerinnen abzuholen. Die sind aktuell mehr oder weniger gezwungen, auf Freeride-Modelle umzusteigen, um einen High-Performance-Ski zu bekommen.

Wahrscheinlich wird sich der High-Performance-Frontside-Markt für Frauen nicht rentieren. Vielleicht aber doch? Niemand sah den Erfolg des Black Pearl 88 kommen, nicht einmal Blizzard. Und dieser Ski ist seit vier Saisonen der bestverkaufte Ski in den USA – ungeachtet irgendeiner Geschlechterzuschreibung.

Einige der in untenstehender Tabelle aufgeführten Frauen-Ski hatten wir im März 2019 beim großen Freeride Skitest im Kaunertal mit dabei. Schaut also ruhig im LineUp vorbei, wenn Euch ein Ski besonders interessiert!


Über den Autor:
Jackson Hogen, Bootfitting-Experte, wahrer Gearjunkie, Equipment-Tüftler und Ski-Enthusiast, betreibt die Online-Plattform realskiers.com. Er teilt seine Recherchen, Einsichten und Gedanken sowohl dort als auch in seinem regelmäßig erscheinenden Newsletter. Auch wenn er sich nicht ausschließlich - wie wir hier auf freeskiers.net - auf Freeride und Freeskiing fokussiert, so sind seine „Revelations“ (also Offenbarungen) nicht nur äußerst unterhaltsame Lektüre sondern auch hervorragend ausgeführt und mit viel Wissen und Erfahrung unterfüttert.

Kein Wunder, hat der selbsternannte “Pontifex des Powder” doch schon so ziemlich jeden Job in der Skiindustrie gemacht, den man sich irgendwie vorstellen kann: „Ski designer, binding and boot product manager, freestyle competitor, bootfitter, lecturer on risk management, ski instructor, marketing director, resort feature writer, ski tester for 30 years and boot tester for 20, OLN and RSN television show host, extreme camp coach, Desperate Measures co-creator, 4X Warren Miller screenwriter, R&D chief, honorary Canadian, college racer, 2X personal therapist to Greg Stump, regular contributor to at least ten different ski magazines, and in his guise as Pontiff of Powder, married Paul Hochman and Carrie Sheinberg in all ways but legally.”

Publiziert in Know How