Perfekt Freeriden - Teil 2: Typische Fahrfehler im Tiefschnee

Von Hanna Finkel am 20.Feb. 2015

In unserem ersten Teil haben wir euch bereits die Grundlagen einer souveränen Freeride-Technik zum Skifahren im Tiefschnee erläutert. Nun möchten wir typische Fahrfehler an "Bad Powder Days" aufzeigen. Zudem geben wir euch Tipps und Tricks an die Hand, wie ihr euch selbst am besten aus dem tiefen Tal des schlechten Skigefühls wieder heraus kämpfen könnt. Ein kleines Übungsrepertoire soll euch schließlich euer Skigefühl zurückgeben und euch zu noch besseren Freeridern machen.

Jeder kennt sie, die Tage an denen skitechnisch einfach gar nichts klappen will. Der so sehnsüchtig erwartete Flow-Zustand, der sich durch eine harmonisch flüssige Line und perfekt abgestimmte, weiche Bewegungen äußert, stellt sich einfach nicht ein! Stattdessen hat man ein Gefühl auf den Ski, als ob man das Skifahren tatsächlich erst gestern gelernt hätte. Ein Fahrfehler jagt den nächsten. Unsicherheit, Passivität bis hin zu Angst vermiesen einem schließlich den Powder-Tag.


Dass aber genau solche Tage auch extrem wertvoll sein können, das weiß der Profi-Freerider und staatlich geprüfte Skilehrer Tim Fritz am besten: „...Hm, das Wichtigste in solch einer Situation ist, sich einzugestehen, dass man gerade wirklich nicht sicher auf den Brettern steht. An solchen Tagen sollte man einen Gang zurück schalten und sich in bekanntem Gelände und mit dem Feedback seiner Freunde um die eigene Skitechnik kümmern. Man kann nicht immer sensationelle Skitage haben, manchmal klappt's einfach nicht wie man will. Rauszufinden, an was das liegt und dies zu verbessern, bringt einen jedoch enorm weiter. Somit ist auch solch ein Tag kein verlorener, sondern sogar ein sehr wichtiger!"

Typische Fahrfehler im Tiefschnee und Gelände
Der geläufigste und vielschichtigste Fahrfehler beim Gelände- und Tiefschneefahren ist eine fehlerhafte Position. Eine falsche oder unangepasste Haltung des Körpers auf den Ski kann sich durch zu viel Rücklage äußern, zu wenig Körperspannung im Oberkörper, zu viel Bewegung und Rotation ab der Hüfte aufwärts, aber auch durch mangelnde Bewegungsbereitschaft in den Beinen. Gleichgewichtsprobleme nach außen und innen, zu wenig Tempo sowie eine unsymmetrische Spuranlage sind weitere Fahr-, Taktik- und Technikfehler, die es im Gelände zu vermeiden gilt.

Zu viel Bewegung durch zu wenig Spannung im Oberkörper
Gerade bei weniger routinierten Freeridern beobachtet man oftmals ein wildes Fuchteln in den Armen und das dynamische Verdrehen im Oberkörper, um den Ski irgendwie einen Impuls für eine neue Richtungsänderung speziell in tiefem und oftmals schwerem Schnee zu geben. Die Konsequenz von zu viel Bewegen und Mitrotieren des Oberkörpers in die neue Kurvenrichtung ist ein Verlust der permanenten Druck- und Gleichgewichtsregulation sowie der Kontrolle von Geschwindigkeit und Richtung (siehe Teil I, Perfekt Freeriden). Selbst die kleinste Unebenheit oder plötzlich schwerer und tiefer werdender Schnee können den Fahrer ohne Spannung im Oberkörper sofort „verjagen" und die Kontrolle über Ski und Geschwindigkeit verlieren lassen.

Zu starke Rücklage
Sitzt man mit dem Gesäß zu weit hinten ab, so ist solch eine Position einerseits unheimlich kräftezehrend und anstrengend. Auf der anderen Seite lässt zu viel Rücklage die Ski stark nach hinten abtauchen. Durch den zu hohen Anstellwinkel erhöht sich folglich der Reibungs- und Drehwiderstand, was das Kurvenfahren im Tiefschnee schließlich enorm erschwert. Außerdem hat die Steuerqualität der Ski stark unter zu viel Rücklage zu leiden.

Gleichgewichtsprobleme nach innen und außen
Durch zu viel Innen- bzw. Außenskibelastung droht der mehr belastete Ski im Schnee zu versinken und der unbelastete Ski verliert an Führung. Die Konsequenz ist ein Verlust des Gleichgewichts aufgrund des nicht vorhandenen Schneewiderstands. Außerdem kann man sich durch einseitige Belastung die wertvolle Flächenwirkung der Ski für einen optimalen Auftrieb ebenfalls nicht mehr zu Nutze machen. Das bekannte Abhauen des Außenskis ist eine weitere Folge von ungleichmäßig verteilter Belastung auf den Außen- und Innenski.

Mangelnde Bewegungsbereitschaft in den Beinen
Aufgrund einer ungenügenden Hoch-Tiefbewegung aus den Beinen wird speziell der Kurvenwechsel für die Richtungsänderung enorm erschwert. Man hat das Gefühl, dass sich die Ski immer tiefer in den Schnee graben und man irgendwann stecken bleibt. Außerdem können durch blockierte Sprung- und Kniegelenke Geländeunebenheiten und Buckel nicht sauber abgefangen und kompensiert werden. Ein schwerwiegender Kontrollverlust von Geschwindigkeit und Richtung ist die Folge.

Unsymmetrische Spuranlage und zu wenig Geschwindigkeit
Langsame und lange Schrägfahrten im Tiefschnee sehen nicht nur schlecht aus, sondern erschweren zudem das mühelose Dahingleiten im Powder enorm. Je länger man mit dem Kurvenwechsel wartet, desto schwerer wird schließlich der Turn. Zudem lassen enge Rinnen oder bestimmte Geländeformen und Hangneigungen bei einer gewissen Lawinenstufe lange Querfahrten ebenfalls nicht mehr zu.

Tipps und Tricks zur Fahrtechnik und –taktik im Tiefschnee
„Oberkörper stabil, Beine agil", so lautet das Credo des DSLV (Deutscher Skilehrerverband) in Bezug auf das Tiefschnee- und Geländefahren. Da die Beine dem Sportgerät (den Ski) am nächsten liegen, agieren sie folglich auch am wirkungsvollsten. Der Oberkörper stellt daher gleichzeitig einen enorm wichtigen Fixpunkt dar und stabilisiert das System Skifahrer und Ski. Ein taloffener Oberkörper ermöglicht außerdem ein schnelles, der Situation angepasstes Reagieren und Richtungsändern aus den Beinen heraus.


Wie wichtig die Initiierung der Bewegung aus den Beinen ist, soll die Erläuterung des Rebound (Schanzeneffekt) und des Schneewiderstands beim Kurvenfahren im Tiefschnee darstellen. Für den Kurvenwechsel wird durch aktives Abbremsen einer Tiefbewegung aus den Beinen die Belastung erhöht und der Schnee unter dem Skibelag komprimiert. Der dadurch entstandene Schneewiderstand wird für den darauffolgenden Kurvenwechsel genutzt und eine sofortige Hochbewegung aus dem Sprung- und Kniegelenk angeschlossen. Es entsteht der gewollte Schanzeneffekt (Rebound-Effekt), der mit dem Abbremsen der Hochbewegung noch zusätzlich verstärkt wird. Die Ski werden in diesem Moment entlastet um eine mühelose Richtungsänderung im tiefen Schnee zu realisieren. In der Kurvensteuerung kommt es somit auf ein harmonisches und gleichmäßiges Beugen und Tiefgehen in Kombination mit dosierten Drehbewegungen aus den Beinen an, um die Ski mühelos gleiten zu lassen.

Folglich werden nochmals wertvolle Tipps zur Vermeidung von Fahrfehlern beim Freeriden zusammengefasst:
  • Dynamische und rhythmische Hoch-Tiefbewegungen zur Realisierung und Nutzung des Rebound-Effekts: Der entstandene Schanzeneffekt ermöglicht ein langes Schweben und Gleiten im Schneestaub (Flow). Bei sehr tiefem Schnee kann durch umfangreiches Tiefgehen in der Steuerung auch komplett abgetaucht werden. Faceshots sind die Folge!
  • Kompakter, ruhiger und talwärts ausgerichteter Oberkörper als Fixpunkt, Gleichgewichts- und Stabilisierungshilfe.
  • Beidbeinige Belastung: Die Belastung auf beide Beine und Ski (Innen- und Außenski) sollte möglichst gleich verteilt sein, um ein einbeiniges Absinken oder das Wegfahren des Außenskis zu verhindern.
  • Engere Beinstellung (Blockbildung der Knie) um die Flächenwirkung und den Auftrieb der Ski zu vergrößern.
  • Position und Belastung auf der ganzen Fußsohle (mittig) bis hin zur Ferse, damit die Skispitzen noch besser aufschwimmen.
  • Sehr wenig und nur dosierte Kantbewegungen, um die Flächenwirkung der Ski aufrecht zu erhalten und um den Auftrieb sowie die Stabilität zu erhöhen.
  • Optimale Spurwahl: Kurvenfahren ohne Unterbrechungen (Schrägfahrten vermeiden) und ggf. nahe der Falllinie, um weniger Reibungswiderstand und mehr Fahrwucht und Auftrieb zu erzeugen.
  • Tempowahl: Durch ein höheres Tempo erhöht sich automatisch die Dynamik, der Auftrieb sowie die Fahrtwucht und ein leichteres Fahren bzw. Richtungsändern der Ski ist die Folge (Wichtig: Das Fahrtempo sollte allerdings im Rahmen der skitechnischen Fertigkeiten liegen).
  • Unser Profi-Tipp: Je breiter die Ski, desto höher der Auftrieb in tiefem Pulverschnee
Ein kleines Übungsrepertoire für Bad Powder Days
Das Wissen über die korrekte Skitechnik im Tiefschnee und im Gelände ist die eine Sache! Diese in der Situation (Schnee- und Geländebeschaffenheit) und Praxis umzusetzen nochmals eine ganz andere. Damit euch das in Zukunft noch besser gelingt, möchten wir euch nun wertvolle Übungen an die Hand geben. Die verschiedenen Übungen zielen alle darauf ab, die oben genannten Merkmale (Hoch-Tiefbewegungen aus den Beinen, kompakte mittige Position, ruhiger Oberkörper, etc.) zu trainieren und zu verbessern um die bereits erläuterten Hauptfehler auszumerzen!

1. Übungen zur Verbesserung der Bewegungsbereitschaft aus den Beinen
  • Winkelspringen: Die Richtungsänderung wird ohne Schneekontakt und nur über Springen um die Kurve realisiert. Dynamik, Explosivität und Gleichgewicht werden trainiert.
  • Heuschrecke: Bei kurzen bis mittleren Radien werden abwechselnd beim Springen um die Kurve das kurvenäußere Sprunggelenk gebeugt und das kurveninnere Sprunggelenk gestreckt. Neben der Bewegungsbereitschaft wird zusätzlich die Koordination trainiert.
  • Schnellendes Umspringen: Charakterisieren kurze Radien mit rhythmischen Absprüngen von Außenski zu Außenski. Durch diese Übung werden eine enorm hohe Bewegungsbereitschaft in Sprung- und Kniegelenk sowie eine gute Koordination trainiert.
2. Übungen für einen kompakten, taloffenen und ruhigen Oberkörper
  • Kurze, rhythmische Radien ohne Stöcke fahren, mit verschränkten Armen vor der Brust oder mit verschränkten Händen am Hinterkopf. Der Oberkörper bleibt dabei ruhig und taloffen.
  • Kurzschwung fahren und dabei Stöcke quer auf den Handrücken balancieren. Unebenheiten werden von Sprung- und Kniegelenk abgedämpft. Im Oberkörper darf ebenfalls keine Bewegung stattfinden, sonst kommt es zum Verlust der Skistöcke.
  • Kurzschwung fahren mit Stöcken senkrecht in Vorhalte bzw. wie Antennen nach oben (Fenster fahren). Der Oberkörper schaut dabei jederzeit durch die senkrecht gehaltenen Stöcke ins Tal und die Stöcke bleiben ruhig.
3. Übungen gegen eine zu starke Rücklage bzw. keine mittige Position
  • Offene Skistiefel: Durch das Öffnen aller Skischuhschnallen büßt man enorm an Halt ein. Um ein stabiles Gleichgewicht sowie optimalen Druck auf die Ski zu realisieren, kommt es auf eine zentrale und mittige Position an.
  • Dach fahren: Ein sogenanntes Dach findet man meistens am Pistenrand an der Grenze von Piste und Gelände. Beim Dach fahren fährt man eine Kurve auf der Piste und eine im Gelände nebenan. Die Spitze des Dachs kennzeichnet den Punkt, an dem der Kurvenwechsel stattfindet und wo die Bewegung aus dem oberen Sprunggelenk und den Knien nach vorne geht. Als Steigerung kann die Spitze des Dachs außerdem übersprungen werden.
  • Ollie fahren: Im Kurvenwechsel werden die Ski durch explosives Aufrichten im Sprung- und Kniegelenk aus dem Schnee bewegt. Man versucht, mit den Skispitzen als erstes wieder im Schnee zu landen. Dies ist nur möglich mit einer aktiven Bewegung aus dem oberen Sprunggelenk nach vorne.
4. Übungen zur Verbesserung einer symmetrischen und zyklischen Spuranlage
  • Synchronfahren: Beim Synchronfahren versucht man den Rhythmus und Radius des Partners aufnehmen und zu halten.
  • Schattenfahren: Beim Schattenfahren fährt man versetzt hintereinander, wobei der Hintermann den Schatten des Vordermanns darstellt und exakt den Rhythmus und Radius aufnimmt.

Wie ihr seht, kann ein schlechter Skitag allerhand Verbesserungs- und Entwicklungspotential in Bezug auf die persönliche Skitechnik bergen. Daher nicht gleich den Kopf vergraben und die nächste Skihütte aufsuchen, wenn es gerade nicht so läuft! Stattdessen einen Gang zurückschalten und sich mit Konzentration und den zuvor genannten Übungen auf die Piste begeben. In diesem Sinne: Viel Spaß beim Trainieren!

Quellenangaben:
Deutscher Skilehrerverband (Hgb.): Freeriden einfach – der DSLV Lehrplan (BLV Buchverlag GmbH & Co. KG, 2012)
Norbert Henner & Max Holzmann: Besser Skifahren – das Trainingsbuch (BLV Buchverlag GmbH & Co. KG, 2013)
Deutscher Skilehrerverband (Hgb.): Skifahren einfach – der DSLV Lehrplan (BLV Buchverlag GmbH & Co. KG, 2012)
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