
Die richtige Skitouren-Planung
Die Göll Ostwand hat durchgehend zwischen 40 und 45 Grad, über 1500 Höhenmeter müssen bezwungen werden und eine böse Wechte thront über dem Ausstieg und wartet auf die Erwärmung, um stückchenweise in die Aufstiegsspur abzubrechen. Der Tag X soll es sein und kein anderer, schließlich hat man die Tour schon mehrere Tage vorher geplant und die Freude ist groß.
Wenn nun die Aprilnacht doch wärmer ist als vorhergesagt, es nicht durchgefroren hat und die Tour schon im Schneesumpf startet, was dann? Um 5 Uhr früh wohlgemerkt. Abbrechen? Umdrehen? An so einem traumhaften Tag unverrichteter Dinge wieder heimfahren? Wer kennt es nicht, das Bauchgefühl signalisiert, dass es vielleicht doch besser wäre umzudrehen, der Kopf und die Lust auf dieses Erlebnis treiben einen an.
Zwar war ich damals sehr fit, aber zu Zeiten der schweren Rahmenbindungen, mit Rennschischuhen und 1,90 Freeride Skiern dauerte der Aufstieg deutlich länger als geplant. Die Tageserwärmung schreitet rücksichtslos voran. Kurz vor dem Ausstieg um etwa 10:00 Uhr passiert genau das, wofür die Göll Ostwand so gefürchtet ist: ein Stück der Wechte bricht. Ich befinde mich 100 Meter vor dem Ausstieg an der steilen und vereisten Engstelle, der Falllinie der Wechte. Ein reflexartiger Sprung zur Seite bewahrt mich vor Schlimmerem und ich komme mit dem Schrecken davon.
Den Rucksack, den ich mir beim Anziehen der Steigeisen abgenommen hatte, musste ich mir, genauso wie meine Stöcke und die Skier, auf dem großen weiten Feld in Einzelteilen zusammensuchen. Die Nassschneelawine kommt erst weit unten, beim Einstieg der Tour, zum Stehen. Ich steige also den ganzen oberen Hang zu Fuß wieder ab.
Es geht nicht darum, das gesamte Leben in den Bergen fehlerfrei zu bewältigen, vielmehr, das Erlebte zu analysieren, zu reflektieren und aus all den getroffenen Entscheidungen zu lernen. Nur dann wird man besser und sicherer. Eine gute Planung ist nicht nur sicherheitstechnisch unabkömmlich, auch kann sie für einen guten oder einen weniger guten Tag verantwortlich sein. Schließlich wollen wir am Ende des Tages alle nur das eine: Den perfekten Powder- oder Firngenuss. Möglichst vom Gipfel bis ins Tal. Und: wir wollen wieder sicher daheim ankommen. Eine gute Planung ist die halbe Miete, aber alles andere als immer nur einfach.
Wer wenn nicht er, weiß, wie eine perfekte Tourenplanung aussieht: Reinhard „Ragno“ Ranner ist Berg- und Skiführer, im österreichischen Ausbildungsteam, bei der Lawinenkommission Zürs und hat über 30 Jahre Arlberg Erfahrung.
Wie sieht eine gute Tourenplanung aus?
Zuerst sollte man sich informieren und den Winterverlauf in der jeweiligen Region studieren. Da gibt es viele Möglichkeiten wie Messstationen, Webcams, Lawinenportale, Kollegen oder Freunde vor Ort, von denen man verlässliche Informationen erhält. An den Tagen davor, aber auch am Tag der Skitour, sollte die aktuelle Wetterlage und der aktuelle Lawinenlagebericht nochmal genauer studiert werden. Die Klarheit über die eigene Leistungs- und Risikobereitschaft, die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und körperlichen Fitness bzw. Belastbarkeit ist wichtig. Entscheidend ist auch das Know-How über welches ich verfüge, bin ich ein Profi oder kenne ich mich im Gelände weniger gut aus.
Ein weiterer wichtiger Faktor: das Zeitmanagement. Bin ich im Hochwinter unterwegs, oder habe ich es mit der Frühjahrs Situation zu tun. Im Frühjahr muss ich noch mehr mit der Exposition arbeiten. In einer Gruppe muss die Planung immer an das Tempo des „Schwächsten“ angepasst sein. Außerdem sollte jeder Teilnehmer über das Tourenziel, markanten Punkten oder Geländenamen Bescheid wissen und die Notrufnummern kennen.
Hast du ein paar konkrete Tipps wo oder wie man sich am besten Informieren kann?
Skitourenführerliteratur, egal ob in Buchform oder digital. Ich selbst liebe und nutze die FATMAP sehr gerne. Dort habe ich das Gelände fast 1:1 vor mir und kann es zuhause am Computer, von allen Seiten aus, schon relativ genau studieren. Natürlich nutze ich zusätzlich verschiedene online Karten wie z. B. die Alpenvereinskarten.
Eigene Planung vs. blind einem GPS-Track oder einer Spur hinterherlaufen?
Wenn man sich nur auf GPS-Tracks verlässt, besteht die Gefahr, das eigene Denken in Bezug auf das Wesentliche wie Gelände, Schnee, Gruppe, tageszeitliche Veränderung, komplett zu verlieren. Man verlässt und konzentriert sich oftmals nur noch darauf, den Track nicht zu verlassen, schaltet das eigene Denken aus und fühlt sich fälschlicherweise sicher.
Als zusätzliches Tool zur Überprüfung, wo ich mich befinde, machen GPS-Track durchaus Sinn und sind ein gutes Instrument.
Nicht immer trifft alles exakt so ein, wie einige Tage zuvor geplant. Was empfiehlst du dann?
Dann sollte man immer einen viel defensiveren Plan B, C, D oder sogar E haben und auf diesen auch zurückgreifen. So kommt man auch nicht in die Versuchung, das Geplante auf Biegen und Brechen durchzuziehen. Wird stur das geplante Ziel verfolgt, findet man auch oftmals nicht den besten Schnee. Wir müssen weg vom ballistischen Denken. Wenn sich die Verhältnisse ändern, dann sollte reagiert, wenn nötig, auch umgedreht werden.
Es sollte also eine gewisse Flexibilität während der Tour behalten werden?
Das macht das Skitourengehen bzw. Freeriden ja so spannend. Wenn ich Bereiche zum Spielen habe, hinsichtlich Expositionen, Schneeverhältnissen und Hangneigung, dann macht es natürlich Sinn, nicht stur sein Ziel zu verfolgen, wenn der Schnee möglicherweise wo anders besser ist. Das alles ist für einen Laien nicht immer ganz einfach, aber geht man mit offenen und interessierten Augen auf den Berg, lässt sich das Erlernen und mit der Zeit immer besser erkennen.
Was sollte man sonst noch beachten bei einer Skitour?
Es braucht zu jederzeit einen 360 Grad Rundumblick, um alles auf- und wahrzunehmen. Um die Gefahrenzeichen rundherum zu beobachten und vor allem zu erkennen und notfalls zu reagieren! Ein schlechtes Bauchgefühl sollte nicht einfach ignoriert werden.
Gefahrenzeichen wie Schneeverfrachtung, Tageserwärmung, frische Lawinen, Wechten etc. können nur wahrgenommen werden, wenn man achtsam auf dem Berg unterwegs ist.
Man muss sich die Frage stellen, was befindet sich ober und unter mir und haben sich die Verhältnisse anders entwickelt als erwartet. Bei einer Skitour gibt es über den ganzen Tag verteilt immer wieder neue Updates, die man wahrnehmen muss.
Wie geht man am besten an die Planung eines anspruchsvolleren Projektes, in einem nicht heimischen Gebiet, heran?
Zuerst checke ich das Gelände rundherum ab und begebe mich in dieselben Expositionen und Höhenlagen, um ein Gefühl für das Gebiet und die Bedingungen zu bekommen. Die Erkundung in Form von einfachen Skitouren hilft dabei, sich einen guten Überblick zu verschaffen. Mein Zugang ist, dass ich bei schwierigen Abfahrten, dort rauf gehe, wo ich später runterfahre. So kann ich die Verhältnisse schon beim Aufstieg checken und böse Überraschungen bleiben aus. Oder aber, ich schaue mir eine Rinne von Gegenüber an.
Was sind die häufigsten Fehler?
Selbstüberschätzung und eine zu hohe Risikobereitschaft. Das man sich zu wenig mit dem Tourenziel auseinandersetzt. Ich beobachte es wirklich sehr oft, dass Personen Spuren folgen, ohne zu wissen, wo sie hinführen.
Oft gibt es auch das Problem unterschiedlicher Gruppen, hinsichtlich Erfahrung, Fitness und Risikobereitschaft. Nicht immer ist die risikofreudigste Person die Erfahrenste. Wie geht man damit am besten um?
Das ist der sogenannte Gruppendruck, der auf keinen Fall ignoriert werden darf. Idealerweise sollte man sich darüber schon vor der Skitour Gedanken machen.
Einer aus der Gruppe ist meistens der Leader und gibt den Ton an. Dieser sollte mit schlüssigen Argumentationen vor der Gruppe auftreten und die Entscheidungen gemeinsam treffen können. Eine Person mitten im Gelände zurückzulassen oder zu etwas überreden, das sie nicht möchte, ist meiner Meinung nach ein absolutes No-Go. Das schwächste Gruppenmitglied erhält die größte Aufmerksamkeit.
Was gehört in jeden Rucksack?
Eine funktionierende Sicherheits- und Notfallausrüstung. Je Vierergruppe ein gut bestücktes erste Hilfepaket mit zwei Rettungsdecken und ein Biwaksack. Bei mir sind immer ein Leatherman, Kabelbinder und zwei Skistraps im Rucksack. Damit kommt man im Notfall schon mal recht weit. Eine leicht Daunen- oder Primaloft Jacke soll in jeden Rucksack. Der Rest ist sehr individuell - Sonnencreme, Trinken, Essen, Wechselkleidung, Powerbank, ... jeder hat seine Präferenzen. Ich habe sogar schon gesehen, dass manche einen Schnaps mit auf Tour nehmen
NOTRUFNUMMERN:
112 deutsche & europäische Notrufnummer
140 Bergrettung Österreich
1414 REGA Schweiz
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