Das Judging bei Freestyle-Contests

Von Pius Schneider am 19.Feb. 2015

Die meisten von euch haben bereits mindestens ein Mal einen Freestyle Contest im Fernsehen, Live Stream oder sogar vor Ort mitverfolgt. Damit die Bewertung der Judges für euch etwas nachvollziehbarer wird, haben wir uns mal etwas genauer damit befasst.

Freestyle.ch, die XGames oder die Olympischen Spiele. Die Übertragungen werden immer professioneller und es ist jedes Mal aufs neue faszinierend, wie die Athleten ihre Tricks am Slopestyle Kurs oder in der Halfpipe zeigen. Unten angekommen, werden die Ski abgezogen und die Fahrer warten gebannt auf ihre Punkte. Doch wie kommt so ein Score überhaupt zustande?


Die Anzahl der Judges
Der Score, also die erreichten Punkte, wird von Wertungsrichtern, genannt Judges, festgelegt. Dies sind meist ehemalige oder aktive Fahrer aus der Szene, die eine Zusatzausbildung absolviert haben und auf Grund ihrer Erfahrung und ihres Wissens um die Trickschwierigkeit und Ausführung die Punkte festlegen. Bei einem Contest entscheiden je nach Größe des Wettbewerbs zwei bis sechs Judges. Bei kleineren, wie z.B. der WirSchanzen Tour oder der QParks Tour bewerten meist zwei bis drei erfahrene Judges.

Bei High Level Contests wie Worldcups oder Contests der Association of Freeski Professionals, der AFP, der auch die XGames, Austrian Open usw. angehören, kommen bis zu 6 speziell geschulte Judges zum Einsatz. Diese müssen erst eine Ausbildung absolvieren, sich dann in kleineren Contests profilieren und werden erst dann in den Top Contests eingesetzt. Die Judges sind unterteilt in Scoring Judges und einen Head Judge. Dieser steht im Kontakt mit den Contestverantaltern, klärt Fragen der Rider und koordiniert die Scoring Judges untereinander.

Positionierung der Judges
Die Position der Judges wird so gewählt, dass der komplette Kurs gut eingesehen werden kann. Ist dies nicht möglich, teilen sich die Judges auf oder es wird ein Landing Judge engagiert, der per Funk die Landungen mitteilt.

Bei kleineren Contests ist die Judging Position meist im Freien, was bei widrigen Witterungsbedingungen durchaus richtig ungemütlich werden kann. Bei High-End Contests, die live im Fernsehen oder per Stream übertragen werden, haben es die Judges schon angenehmer: In Kursnähe in einer Kabine sitzend, können sie die Contestruns auf Bildschirmen ansehen und entsprechend bewerten. Während Judges ohne Live-Übertragung zum Teil über 100 Meter vom entferntesten Obstacle entfernt sitzen, hat die Live Übertragung den Vorteil, dass die Judges die Tricks immer aus relativer Nähe betrachten können. Die Möglichkeit, Zeitlupenwiederholungen anzusehen haben die Judges jedoch üblicherweise nicht.

In der Zeit, in der den Zuschauern die Wiederholungen gezeigt werden, legen die Judges den Score für den jeweiligen Run fest, was durchaus seine Zeit braucht. Nachdem sie den Kurs inspiziert haben, finden sich die Judges gewöhnlich bereits vor dem Training für den jeweiligen Contest in der Judging Booth ein. Das beobachten des Trainings dient zur Abschätzung des Könnens des Starterfelds, um die Punkte für die ersten Fahrer richtig vergeben zu können.

Ablauf des Contests
Während des Contests befinden sich die Judges in Funkkontakt mit dem Starter, einer Person die am Start steht und auf das Ok zum Losfahren der einzelnen Fahrer wartet. Wird dieses gegeben, funkt er den Judges nur die BIB Nummer, nicht den Namen des nächsten Fahrers durch. Dies dient dem schnelleren Ablauf, einer weitgehenden Anonymisierung des Starterfeldes und damit der Objektivierung der Scores. Während des Runs des Fahrers notieren die Judges die jeweiligen Tricks in Kurzschrift auf ihrem Judging Sheet, um die Runs später miteinander vergleichen zu können. Ein Run aus 270on pretzel 270 auf rightside Rodeo 900 Blunt zu switch leftside Doublecork 1260 Mute auf leftside DoubleMisty 1080 Safety wird in Kurzschrift zu // L2on pr2// RRo9B // swLDC12M // LDM10S //.

Hat der Fahrer den Run beendet, wird gewertet. Dabei wird jedoch nicht primär darauf geachtet, wie viele Punkte dieser Run nun abwerfen könnte. Vielmehr wird der Run mit vorherigen Runs verglichen und dementsprechend eingestuft. Hat Rider A einen überdurchschnittlichen Run hinuntergebracht, wird nicht überlegt, ob A nun 65 oder 75 Punkte erreicht hat. A wird mit B verglichen, dessen Run 70 Punkte erhalten hat. Wird entschieden, dass A's Run besser war, als der von B, wird er mit dem von C verglichen, der 80 Punkte erreicht hat. Ist er schlechter als C, erhält er 75. Dabei muss stets darauf geachtet werden, dass zwischen den jeweiligen Rankings genug Platz gelassen wird, und die richtige Platzierung der ersten Fahrer ist von großer Bedeutung. Dies erfordert viel Erfahrung und Können, da das Ranking speziell bei Liveübertragungen nicht mehr korrigiert werden kann.

Die einzelnen Runs werden nach der Overall Impression, also dem Gesamteindruck, gewertet. Es werden also nicht die einzelnen Sprünge isoliert betrachtet, sondern der Lauf als Gesamtes. Dieses Bewertungssystem erlaubt den Fahrern ein Maximum an Entscheidungsfreiheit bei der Planung ihres Runs. Gleichzeitig wird verhindert, dass ein Rider trotz eines Sturzes durch Addition der vorher gesammelten Punkte ein gutes Resultat erzielt.

Der Nachteil dieses Systems besteht darin, dass ein gewisser Grad an Subjektivität bei der Beurteilung nie ausgeschlossen werden kann. Jede striktere Form würde jedoch die Weiterentwicklung des Sports massiv beschränken, da die Fahrer ihre Kreativität nicht ausleben könnten. Die Fahrer würden immer die selben Tricks zeigen, die Entwicklung würde stagnieren und der Sport veröden. Zudem würde eine strikt geregelte Bewertung dem Geist des Freeskiings zuwiderlaufen.
Die Kriterien
Der Gesamteindruck des Runs wird durch fünf Kriterien beurteilt: Progression, Amplitude, Variety, Execution und Difficulty.

Difficulty ist selbsterklärend: Je schwieriger die Tricks desto mehr Punkte wirft der Run ab. Execution, also die Ausführung, reguliert praktisch den Schwierigkeitsgrad. Ein technisch schwierigerer Run gibt nur dann mehr Punkte als ein einfacherer, wenn er sauber ausgeführt wurde. Sprich, die Landungen müssen tadellos gestanden sein, die Rails bis zum Schluss durchgeslidet, Grabs möglichst lange gehalten werden. Auch ein guter Style schlägt sich in der Execution nieder.

Mit der Amplitude wird die Sprunghöhe und Weite bewertet. Ein Fahrer, der seine Tricks hoch und weit springt, zeigt ein hohes Maß an Selbstvertrauen und Kontrolle. Amplitude und vor allem Execution sind sehr wichtige Kriterien, auf die in jüngster Vergangenheit bei Top Contests viel wert gelegt wurde. Bei den XGames und der WM am Kreischberg war zu sehen, dass Fahrer mit einem sehr schwierigen, aber nicht ganz sauber ausgeführten Trick weniger Punkte erreichten, als andere mit einem leichteren, der aber perfekt ausgeführt wurde. Dies ist eine begrüßenswerte Entwicklung, da, wenn schwierige, unsauber ausgeführte Tricks mehr Punkte ergeben würden, die Fahrer sich darauf konzentrieren würden, noch eine Rotation mehr oder noch einen Cork in ihren Trick einzubauen, anstatt darauf, ihre Tricks perfekt zu stehen. Dies hätte zwar eine rasante Entwicklung des Sports zur Folge, wahrscheinlich aber auch eine große Anzahl an Verletzungen.

Die Variety beschreibt, wie abwechslungsreich die gezeigten Tricks im Run waren. Werden vorwärts und rückwärts angefahrene Tricks gezeigt, beide Drehrichtungen und verschiedene Drehachsen, ergibt dies einen höheren Score als ein Run, der nur aus sehr ähnlichen Tricks besteht, da der Fahrer zeigt, dass er viele verschiedene Tricks beherrscht.

Mit dem letzten Kriterium, der Progression, wird bewertet wie fortschrittlich und kreativ ein Run ist. Ein Fahrer, der eine komplett neue Rotationsachse oder einen neuen Grab zeigt oder seinen Run anderweitig kreativ gestaltet, wird höher scoren als Fahrer, die alltägliche Tricks zeigen. Speziell beim berühmten XGames Big Air, bei dem beinahe jedes Jahr komplett neue Tricks gemacht werden, wird auf dieses Kriterium besonders viel Wert gelegt.

Besonders wenn bei zwei ähnlichen Runs nicht klar ist, welcher der bessere war, wird auf diese Kriterien zurückgegriffen. Welcher Run war kreativer? Welcher progressiver? Welcher schwieriger? Der, der bei mindestens 3 der 5 oben genannten die Nase vorne hat, wird höher eingestuft.



Der Einfluss der Judges auf den Sport
Judging ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Wird ein Trick von den Judges gut bewertet, wird der Fahrer diesen Trick im nächsten Contest wiederholen. Die Fahrer richten sich nach der Entscheidung der Judges, da sie den Contest nur gewinnen können, wenn ihre Tricks gut bewertet werden. Zudem werden meist nur die Top 3 Läufe online gezeigt. Die breite Masse sieht nur die Tricks, die gut bewertet werden und die Fahrer machen nur Tricks, mit denen sie einen guten Score erreichen können. Es verbreiten sich also die Tricks, die von den Judges als gut befunden wurden.

Dadurch beeinflussen Judges die Entwicklung des Sports in einer nicht zu vernachlässigenden Weise. Vor allem bei Contests, in denen progressive Tricks gezeigt werden, wie beim bereits genannten XGames Big Air, kommen deshalb nur Judges zum Einsatz, die sich durch jahrelange Judging-Erfahrung auszeichnen und sich ihrer Verantwortung bewusst sind.

Die Punktvergabe
Die Punkte der jeweiligen Runs, auch Score genannt, reichen meist von 0-100. Jeder Judge legt seinen eigenen Score und damit sein eigenes Ranking fest. Der Durchschnitt der Scores aller Judges ergibt dann den Gesamtscore.

Liegt der Score eines oder mehrer Judges weitab von dem der anderen, sprich, ein Judge gibt 50 Punkte, alle anderen jedoch um die 80, regt der Head Judge zur Diskussion an. Allgemein wird in der Judges Booth viel diskutiert. Gemäß dem Motto "12 Augen sehen mehr als 2" werden die Tricks noch während der Fahrer am Kurs ist besprochen. Hatte der Fahrer den Trick gegrabt? War die Hand im Schnee bei der Landung des 2. Kickers? Dadurch kommen die Judges meist auf einen gemeinsamen Nenner und die Platzierungen können fair verteilt werden.

Fehler oder Sachen, die einen Lauf positiv auszeichnen, werden ebenfalls im Judging Sheet notiert. Kann ein Fahrer seine Platzierung nicht nachvollziehen, ist es für einen guten Judge ein Leichtes, ihm dies zu erklären. Ein Blick ins Judging Sheet genügt, um den Fahrer darüber aufzuklären, welche Fehler er gemacht hat und weshalb er so eingestuft wurde.

Mehr Transparenz schaffen
Leider fehlt bei vielen Contests die dringend benötigte Transparenz in der Entscheidung der Judges. Dies ist vor allem für Zuschauer, die diesen Sport zum ersten Mal sehen, suboptimal. Für sie springt ein Fahrer über ein paar Schanzen oder fährt durch eine Halfpipe, macht Tricks mit seltsamen Namen und erhält dafür Punkte. Doch warum der eine Fahrer mehr Punkte als der andere erhält, bleibt für sie vollkommen undurchsichtig. Dieses mangelnde Verständnis könnte einen neuen Zuseher davon abhalten, diesen Sport erneut anzuschauen.

Die XGames, in vielen Sachen Vorreiter in unserem Sport, haben bereits damit begonnen, bei unklaren Entscheidungen sofort den Head Judge zu den Kommentatoren hinzuzuschalten, der dann die Entscheidung der Judges erklärt. Dies ist eine sehr begrüßenswerte Entwicklung, die dem Verständnis von Freeski in der breiten Masse sicherlich entgegenkommen wird. Allgemein ist die jüngere Entwicklung des Judgings durchaus als positiv anzusehen. In einem Sport, der sich rasend schnell entwickelt und die Athleten an und über ihre Grenzen treibt, ist das Streben nach perfekter Ausführung und Kreativität vielleicht wünschenswerter als das nach größeren Tricks. Die diesjährigen XGames, geprägt von vielen Stürzen und schweren Verletzungen, haben genau diese Notwendigkeit aufgezeigt. Es bleibt abzuwarten, wie der Sport dies aufnimmt.
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