Perfekt Freeriden - Teil 1: Fahrtechnik im Tiefschnee

Von Hanna Finkel am 27.Jan. 2015

Perfektes Skifahren im Tiefschnee - der Wunsch eines jeden Freeriders! Wir haben uns mit dem Thema Freeride-Technik oder „souverän Tiefschneefahren", wie der Deutsche Skilehrerverband DSLV zu sagen pflegt, intensiv auseinander gesetzt. In unserem ersten Teil dieser Artikelserie geben wir euch einen Einblick in das Geheimnis der perfekten Freeride-Technik.

Eine souveräne Freeride-Technik äußert sich dabei in harmonisch abgestimmten, weichen Bewegungen, einer flüssigen und symmetrischen Line und in dem Einklang der inneren und äußeren Kräfte beim Kurvenfahren. Die Rede ist von einem mühelosen und smoothen Dahingleiten im Schnee, gepaart mit Schneestaub und Schneefahnen, die einem dabei um den Körper und ins Gesicht wirbeln.

Kurz gesagt: Es geht um den Fluss, den sogenannten Flow-Zustand. Das Flow-Erlebnis beim Freeriden gleicht einem Glücksgefühl, das den Freerider alles um ihn herum vergessen und eins werden lässt mit dem Schnee. Durch den Vollzug einer gelungenen Bewegung oder das Befahren eines steilen Hangs - dann wenn sich dabei die eigene Spur und Geschwindigkeit im Einklang befinden - erlangt man diesen Glücksmoment. Diesem Glücksgefühl zugrunde liegt eine solide Skitechnik.

Powdern ohne Ende - die Realität sieht aber meistens anders aus...
Eine gute Skitechnik äußerst sich in zielführenden, der Situation angepassten und abgestimmten Bewegungen. Aber wann und wo finden welche Aktionen und Bewegungen in den Armen, dem Oberkörper, den Beinen oder gar im Kopf statt?

Es wäre zu schön, wenn man beim Tiefschneefahren im Backcountry immer dieselben perfekten Bedingungen vorfinden würde: Metertiefer, fluffiger Schnee so weit das Auge reicht, endlos breite, unzerfahrene, nicht zu steile und nicht zu flache Hänge mit gleichbleibender Neigung und Geländebeschaffenheit, Sonnenschein und blauer Himmel. Schön wär's! Die Realität sieht jedoch in den meisten Fällen anders aus.

Die Situation im Backcountry äußert sich durch variable Schneebeschaffenheit, vielfältige Geländekonturen, verschiedene Steilheiten und sich ständig ändernden Wetter- und Sichtverhältnisse. Dazu kommen der Faktor Mensch (Skikönnen, Kondition, Motivation, etc.) und natürlich die Ausrüstung (längere und breitere Off-Piste- und Allmountain-Ski mit Taille >95 mm und einer Länge körperlang plus 5 bis 10 cm, sowie Rockerbiegung und Skistöcke mit großen Stocktellern). All diese variablen Faktoren charakterisieren die Situation beim Skifahren, die wiederum die Skitechnik bedingt.

Eine gute Skitechnik äußert sich darin, die variable Bewegungsausführung an die jeweilige Situation anzupassen mit dem Ziel einer ständigen Regulation des Drucks und des Gleichgewichts, sowie der permanenten Kontrolle der Geschwindigkeit und der Richtung. Bin ich zu schnell, dann riskiere ich einen Sturz. Bin ich dagegen zu langsam, dann drohe ich mit meinen Ski einzusinken. Zu viel Rücklage oder Innenlage funktioniert dabei genauso wenig wie zu viel Vorlage und Außenskibelastung. Das Tiefschneefahren erfordert somit enorm viel Gefühl, da nicht nur das Tempo, sondern auch der Kant- und Anstellwinkel der Ski exakt an den Schneewiderstand angepasst werden müssen. Um dies alles zu realisieren bedarf es - ich wiederhole - perfekt angepasste Bewegungen. Daher gehen wir nochmals einen Schritt zurück und erläutern euch, wo und wann welche Bewegung beim Kurvenfahren stattfinden.

Wissen, wie's geht
Das Kurvenfahren beim Skifahren wird in drei Abschnitte unterteilt: Kurvenwechsel, Kurvensteuerung und gesamter Kurvenverlauf. In diesen drei Phasen finden insgesamt drei Hauptbewegungen statt:

1. Kantbewegungen um die Skilängsachse
2. Körperschwerpunkt-Verlagerungen entlang der Körperlängs-, Körperquer- und Körpertiefenachse
3. Drehbewegungen um die Körperlängsachse

Kantbewegungen können beispielsweise durch Fuß- und Kniekippen, wie auch durch Ganzkörperkippen realisiert werden. Bei Körperschwerpunkt-Verlagerungen spricht man von Hoch- und Tiefbewegungen, Innen- und Außen- sowie Vor- und Rücklage. Unter Drehbewegungen versteht man zum Beispiel Beinedrehen, Ganzkörperdrehen, Gegenrotieren, Mitdrehen und Vorausdrehen.

Kurvenwechsel - Druckaufbau
Der Deutsche Skilehrerverband spricht in seinen Lehrplänen von gewissen Merkmalen, die in einer bestimmten Phase der Kurve (Kurvenwechsel, Kurvensteuerung und gesamter Kurvenverlauf) realisiert werden müssen, um eine saubere und fehlerfreie Skitechnik zu realisieren. Der Kurvenwechsel ist von einem sogenannten Druckaufbau geprägt. Indem sich der Körperschwerpunkt beim Kurvenwechsel nach vorne in die neue Kurvenrichtung bewegt, kommt es folglich zu einem Umkanten (Ab- und wieder Aufkanten, 1. Hauptbewegung), einem Belastungswechsel von dem alten auf den neuen kurvenäußeren Ski (Körperschwerpunktverlagerung nach vorne und in die neue Richtung, 2. Hauptbewegung) und schließlich zu Drehbewegungen im Sprunggelenk (3. Hauptbewegung). All diese Bewegungen zusammen führen zu einer Veränderung der Fahrtrichtung.

Kurvensteuerung – Druck erhöhen und nutzen
Auf die Phase des Kurvenwechsels folgt schließlich die der Kurvensteuerung. In der Kurvensteuerung geht es hauptsächlich um eine Erhöhung des Kantwinkels und eine Anpassung der Kurvenlage. Der Druck wird dadurch erhöht und für den darauffolgenden Kurvenwechsel wieder genutzt. Es findet ein zunehmendes Aufkanten der Ski statt. Somit erhöht sich auch das Widerlager der Ski im Schnee - der Schneewiderstand wird aufgebaut. Beim Tiefschneefahren erfordert das Aufkanten unheimlich viel Gefühl, da die Herausforderung darin besteht, den weichen und vielen Schnee unter den Ski zu komprimieren.

Man versucht einen „Abstoß" bzw. den Schneewiderstand zu finden, damit man mit seinen Ski im Schnee nicht versinkt. Zudem muss man anhand der Körperschwerpunkt-Verlagerungen eine ausgleichende Kurvenlage einnehmen. Dadurch wird die Position auf den Ski stabilisiert und man verhindert ein nach innen oder außen fallen. Auch die Drehbewegungen, die hauptsächlich in den Beinen stattfinden sollten, werden in der Phase der Kurvensteuerung weiterhin ausgeführt um eine weitere Richtungsänderung zu vollziehen.

Gesamter Kurvenverlauf – Druck regulieren
Folglich ergibt sich für den kompletten Kurvenverlauf: Die gesamte Kurvenfahrt ist durch einen harmonischen Bewegungsfluss geprägt (Auf-/Abkanten, Umkanten, permanente Körperschwerpunkt-Verlagerungen nach vorne, hinten, oben, unten, innen und außen und angepasste Drehbewegungen) Man spricht daher von einer ständigen Regulation des Drucks, der in Bezug auf das Timing (wann?), den Umfang (wie viel Bewegung?), die Richtung (wohin mit der Bewegung?) und die Dynamik (wie schnell?) abgestimmt werden muss.

Und so geht's!
Nun haben wir die einzelnen Bewegungen aufgeschlüsselt, die wann, wo und wie während des Kurvenfahrens beim Skifahren passieren. Nun folgt die Übertragung dieses Grundverständnisses für die allgemeine Skitechnik auf das Freeriding.

„Oberkörper stabil, Beine agil", so lautet das Credo des DSLV in Bezug auf das Tiefschneefahren. Da die Beine dem Sportgerät (den Ski) am nächsten liegen, agieren sie folglich auch am wirkungsvollsten. Der Oberkörper stellt dabei gleichzeitig den Fixpunkt dar und stabilisiert das System Skifahrer und Ski. Zudem steigen die Anforderungen an das Gleichgewicht enorm, da es in tiefem Schnee auf eine gefühlvolle und präzise Druck- und Belastungsregulation in alle Richtungen ankommt. Ein Beispiel: Jede Gewichtsverlagerung nach vorne, hinten, innen oder außen lässt die Ski entsprechend abtauchen, was man ja verhindern möchte. Deswegen ist es wichtig folgende Vorteile bestimmter Bewegungen im Powder zu kennen:

1. Durch eine kontinuierliche, harmonisch abgestimmte Hoch- und Tiefbewegung lässt sich der Schnee unter den Ski leichter komprimieren. Man baut den gewünschten und hilfreichen Schneewiderstand auf, damit die Ski nicht versinken, sondern auf der Schneeoberfläche aufschwimmen. Zudem lässt sich der Verdichtungseffekt des Schnees für das Kurvenfahren optimal nutzen. Daher gilt: Dosiert tiefgehen in der Kurvensteuerung, dann zügig aufrichten im Kurvenwechsel.

2. Beidbeinig fahren: In tiefem Schnee kommt es darauf an, beide Ski nahezu gleich zu belasten. Eine Außenskidominanz sollte dennoch bestehen. Zudem sollte eine mittige Position mit leichter Fersenbelastung auf den Ski eingenommen werden, um die Stabilität in tiefem Schnee zu erhöhen. Durch die beidbeinige, leicht nach hinten tendierende Druckverteilung vergrößert sich somit die Flächenwirkung und das Auftriebverhalten der Ski. Versucht deshalb in fluffigem Schnee, den Innenski stärker als gewohnt zu belasten und einmal die Zehen anzuziehen. Ihr werdet merken, wie die Skischaufel schön auf der Schneeoberfläche aufschwimmt.

3. Schmäler fahren: Eine engere Beinstellung vergrößert ebenfalls die Flächenwirkung der Ski und erleichtert das Drehen im Schnee. Jedoch sollte der Abstand der Ski über den gesamten Kurvenverlauf gleich bleiben. Eine gute Übung ist hier, einen Gegenstand (Handschuh, Luftballon) zwischen die Knie zu klemmen und das Kurvenfahren in dieser Situation zu meistern.

4. Stabiles Gleichgewicht mit optimaler Vor-Rückbewegung: Nicht zu weit nach vorne, aber auch nicht zu weit hinten absitzen, das ist die Herausforderung beim Tiefschneefahren. Zu viel Vorlage sorgt dafür, dass sich die Skischaufeln unter den Schnee graben. Man droht, einen Abflug nach vorne zu machen. Ist die Belastung dagegen zu weit hinten, dann bekommen die Ski einen zu großen Anstellwinkel im Schnee. Es kommt zu einem erhöhten Reibungswiderstand und das Steuerverhalten der Ski wird negativ beeinflusst. Außerdem ist diese Klositz-Position extrem anstrengend zu halten. Daher fällt die Vor-Rück-Regulation beim Powdern extrem minimalistisch aus und ist dagegen fast schon statisch.

Die Kurvensteuerung ist somit von einer mittigen Position, hoher Körperspannung und einer Belastung der gesamten Fußsohle gekennzeichnet. Nur gegen Ende der Steuerphase realisiert man eine geringe Fersenbelastung. Dieser Bewegungsablauf, nämlich Körperspannung über den gesamten Kurvenverlauf, mittige Druckverteilung während der Kurve (leichte Vor-Regulation), dann minimaler Druck auf die Ferse im Kurvenwechsel (Rück-Regulation), wiederholt sich bei jedem Turn von neuem.

5. Stockeinsatz um einen besseren Bewegungsrhythmus und -fluss zu realisieren: Der Stockeinsatz entpuppt sich gerade beim Tiefschneefahren als eine sehr gute Rhythmushilfe. Außerdem gelingen Druckaufbau (Kurvenwechsel) und Drucknutzen (Kurvensteuerung) mit passenden fließenden und rhythmischen Bewegungen viel besser. Der Stockeinsatz sorgt dafür, dass die Hände stabil nach vorne gehalten werden und eine ungünstige Rücklage vermieden wird.

So, nun aber genug gefachsimpelt. Im Endeffekt ist es mit dem Skifahren doch wie mit einer Fremdsprache. Man lernt nur durch sprechen, sprechen, sprechen! In unserem Falle Skifahren. Eigentlich nichts leichter als das...

In unserem nächsten Artikel geben wir euch hilfreiche Aufgaben und Übungen an die Hand, damit ihr beim Powdern noch souveräner unterwegs seid. Zudem erörtern wir klassische Fehlerbilder. Ihr dürft daher gespannt sein...

Quellenangaben:
Norbert Henner & Max Holzmann: Besser Skifahren – das Trainingsbuch (BLV Buchverlag GmbH & Co. KG, 2013)
Deutscher Skilehrerverband (Hgb.): Skifahren einfach – der DSLV Lehrplan (BLV Buchverlag GmbH & Co. KG, 2012)
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