Da die Kombination Dynafit + breite Latten ja zur Zeit ein vieldiskutiertes Thema ist, beschreib ich hier mal die ersten Erfahrungen mit meinem neuen Tourensetup, das nun etwa 13000 hm Touren (darunter eine 6-Tages-Durchquerung bei großteils widrigen Schneebedingungen) und 5 Tage Freireiten auf dem Buckel hat.
Das Setup:
Selbstgebauter Ski, 185cm lang, 127-107-117, ca. 2,0 kg ohne Bindung, Tip-und Tailrocker.
Dynafit Comfort mit Stoppern, dazu die Scarpa-Fußballenauflagen und selbstgebastelte Harscheisen.
Garmont Axon Schuhe (= Garmont Adrenalin mit Dynafit-Inserts).
Der Fahrer:
170cm klein und 60kg leicht. Fühle mich skitechnisch in den meisten Situationen von bigturns bis zu jumpturns ganz wohl, die Aufstiegs-Skills sind verglichen mit alpinistisch orientierten Tourengehern eher mittelprächtig.
Bisheriges Tourensetup war ein Dynastar Intuitiv Big (88mm unterm Fuß) mit BCA Alpine Trecker, ich kann also keine direkten Vergleiche zu Fritschi/Naxo auf dicken Latten ziehen. Vergleichsmöglichkeit zu Puderlatten mit 125 underfoot und Pistenbindung ist vorhanden.
Zum Test: Bewertet wird nach dem Knut'schen (tolles Wort, hihi) 5-Sterne System
Aufstieg:
- Performance: *****
Hier ist die Bindung wohl konkurrenzlos. Guter Drehpunkt, kein zusätzliches Gewicht am Schuh, gutes Skigefühl durch niedrige Standhöhe, sehr verwindungssteif auch auf den dicken Latten.
Ohne Steighilfe hat man allerdings bei Sulz schnell einen beachtlichen Schneehaufen unter der Ferse, der dann vom Hinterbacken auch schön dort fixiert wird. Das kann bei langen Strecken in Talböden etwas nerven.
- Sicherheit: ***
Bisher ist mir die Bindung im Aufstiegsmodus 2 mal aufgegangen, einmal beim mehrmaligen seitlichen Einschlagen des Skis in den Harschdeckel und einmal durch die seitliche Hebelkraft im Steilhang. Fangriemen können in exponiertem Gelände also nicht schaden. Ähnliches hab ich bei Kollegen mit Tourenpommes erst einmal gesehen, könnte also durchaus ein Breitski-spezifisches Problem sein. Verteilt auf 13000 gegangene Höhenmeter scheint mir das aber akzeptabel.
- Bedienkomfort: *
Imho die große Schwäche der Dynafit, zumindest wenn man den Komfort einer Pistenbindung gewohnt ist.
Die Einstellung der Steighilfe mit dem Skistock ist etwas pfrimelig und wenn man den Hebel falsch ansetzt kriegt man den oberen Steighilfesockel recht schnell kaputt (eine meiner Steighilfen hat nun den ersten Riss im Plastik, sollte aber leicht auszutauschen sein).
Beim Einsteigen in die Bindung ist etwas feinmotorisches Geschick gefragt, was vor allem in steilem Gelände "interessant" werden kann. Man gewöhnt sich aber mit der Zeit dran.
Die Schuh-Inserts eisen bei Gipfelklettereien oder Pausen ohne Ski gerne zu, sodass das Wiedereinsteigen langwierig bis unmöglich werden kann. Für diesen Fall hab ich immer ein kleines, spitzes Tool zum Entfernen des Eises dabei.
Schön ist dagegen, dass man die Ski beim Umstellen von Aufstieg auf Abfahrt anbehalten kann (vorausgesetzt, man beherrscht das Abfellen mit angeschnallten Skiern )
Abfahrt:
- Performance: *****
Die Dynafit vermittelt ein stabiles, super direktes Fahrgefühl. Der Vorderbacken hat konstruktionsbedingt kein Spiel, der Hinterbacken kann seitlich etwas auslenken, ohne auszulösen (vermutlich ähnlich wie die alten Look-Drehteller). Noch dazu hat man eine sehr niedrige Standhöhe. Die Konstruktion der Bindung scheint mir dabei mit der Skibreite keinesfalls überfordert zu sein.
- Sicherheit: ** fürs Auslöseverhalten und
**** für die Möglichkeit, ebendieses zu unterbinden.
Um das Auslöseverhalten ähnlich zu einer Salomon S912 einzustellen, muss man die beiden Z-Werte am Dynafit-Hinterbacken (seitlich und vertikal) imho um etwa 1 höher wählen. Ist für mich unproblematisch, wer aber normalerweise Z-Werte >8 fährt, stößt hier wohl an Grenzen.
Das Auslöseverhalten des Vorderbackens ist durch die starren Federn fix vorgegeben und entspricht meinem Gefühl nach einem Z-Wert von ungefähr 7, ist aber naürlich nicht genormt und somit nix für DIN-Fetischisten und Menschen, denen die Sicherheit ihrer Kreuzbänder heilig ist.
Beruhigend im steilen Gelände ist die Möglichkeit, den Vorderbacken mechanisch zu verriegeln. Hinten kann man natürlich trotzdem noch rausfliegen, was bestenfalls zu einem Übergang in den Telemark-Modus und schlechtestenfalls zu Skispitze-to-face Erlebnissen führen kann. Der Ski bleibt aber in (fast) jedem Fall am Fuß :-)
- Haltbarkeit:
In Kombination mit den Scarpa-Fußballenauflagen hatte ich bisher keine Probleme, weder mit der Bindung selbst, noch mit dem Ausreißen der Schuh-Inserts.
Keine Ahnung wie die Dynafit mit 100kg-Fahrern und großen Cliffs klarkommt, für leichte Fahrer und 4-5 Meter Drops bei weicher Landung reichts auf jeden Fall.
- Bedienkomfort:
Siehe oben, ist aber bei 1mal Anschnallen pro Tag ziemlich egal.
Fazit:
Die Bindung ist für mich zu einer Art Hass-Liebe geworden, wobei die positiven Eigenschaften deutlich überwiegen. In Sachen Bedienkomfort muss man sich halt grundlegend umgewöhnen (nicht von ungefähr bezeichnet Dynafit die Variante mit Stoppern und mehreren Steighilfen schon als "Comfort"). Dafür verwöhnt die Bindung mit perfekter Kraftübertragung und direktem Skigefühl sowohl im Aufstieg als auch in der Abfahrt.
Grundsätzliche Probleme in Kombination mit breiten Skiern sehe ich keine, außerdem kann man 2 potentielle Schwachstellen mit ein wenig Bastelei umgehen:
- das von Simon bekannte Problem mit dem Ausreißen der Schuh-Inserts kann man durch eine Fußballenauflage (selbstgemacht oder von Scarpa) entschärfen.
- Richtig breite Harscheisen gibts natürlich keine, sind aber relativ einfach selbst zu machen: 4mm-Alublech vom Metall-Händler zu einem U-Profil passender Breite abkanten lassen und Harscheisen analog zur Originalform aussägen. Ein zweites Paar Scarba-Fußballenauflagen besorgen, die Aufnahmeschienen für die Bindung rausbohren und an die Harscheisen schrauben -> et voila: Endlich ein massives und obendrein kostengünstiges Harscheisen in der passenden Breite :-)
Für leichte Fahrer mit ernsthaften Tourenambitionen also allererste Wahl, ohne auf Abfahrtsperformance verzichten zu müssen (eine passende Schuhauswahl gibts ja mittlerweile).
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