Muss grad was runterputzen -und warum nicht gleich was nehmen, dass es verdient hat?
Rucksack:
ABS Vario Line Lawinen-Airbag-Rucksack
Base Unit Grösse L
Aufsatz Vario 15 und Vario 50 (beide grau/schwarz)
http://www.abs-airbag.com/
Fahrer:
175cm, 85kg - Irgendwo zwischen alternder Bergziege und Lastendromedar. Kann ohne Murren viel zu viel Zeugs mitschleppen, dass er dann mit Genuss am Gipfel unters Volk bringt. Daher müssen Rucksäcke für ihn multifunktionell sein und gut sitzen.
Bisherige Lieblingssatteltaschen: Mammut Respect 18L (2005) und Mammut Serac 40L
Einsatzzweck:
Irgendwie müssig, als Rucksack mit Sicherheitsplus natürlich.
Testbedingungen:
Variantenfahren, auch mit Booten, kleinere Touren
Zum Test:
Erster Eindruck: **(*)
Erwartungen erfüllt
Wirkt recht solide Verarbeitet, man hat sich über das Vario-System viele Gedanken gemacht. Reissverschlüsse wirken stabil und gut abgedichtet. Allerdings ist das Teil "schwer wie Hulle", ziemlich unübersichtlich und über das Design reden wir mal lieber gar nicht.
"Montage" & Handhabung: ****
DAU berücksichtigt.
Dank Bedienungsanleitung und mitgelieferter DVD sind Zusammenbau der Airbag-Einheit und die Handhabung des Rucksacks kein Problem -für niemanden. Der Auslösegriff lässt sich gut individuell in der Höhe einstellen. Das Aufzippen der Rucksack-Einheiten ist etwas friemelig, dafür aber scheinbar stabil und gut befestigt.
Einziger Knackpunkt: Die Hülse, die den Auslösegriff arretiert, will ab und zu geölt sein, sonst wird das Griff-Anstecken am Berg zur Fummelei.
Tragekomfort: ***
Passabel.
Die Base-Unit trägt sich ganz angenehm auf dem Rücken, der Hüftgurt sitzt gut, der Brustgurt auch. Nur die Schultergurte sind in Grösse L viel zu lang für meine 175. In S waren sie deutlich zu kurz. Da die Rückenlänge des Rucksacks sowieso durch das Zip-System festgelegt ist, macht diese Grösseneinteilung nur mässig Sinn. Der Einseitige Beingurt findet bei mir keine Anwendung -schlicht zu unkomfortabel mit etwas weiter geschnittener Kleidung.
Auch recht viel Gewicht lässt sich passabel tragen, allerdings neigt der Rucksack dank der Airbags, die den Stauraum auf Abstand zum Rücken halten, seines Skitragesystems und der Aufsätze sehr zur Hecklastigkeit. Doch dazu später mehr.
Airbag-Einheit: ****
Pffffffffft.
Hier gibt's wenig zu meckern. Technisch einwandfrei, Bedienung verständlich und einfach. Die Montage und Demontage des Auslösegriffs geht auch mit Handschuhen gut (das Verstauen im Hüftgurt-Täschchen etwas weniger) und die Klettverschluss-Sicherung des Hebels ist hilfreich. Die Probeauslösung im Gelände hat gezeigt, dass man doch ziemlich am Griff reissen muss (v.a. mit Sicherung vor dem Hebel), aber die Airbags blasen sich schnell auf und stören beim Fahren nicht. Das Zusammenlegen gestaltet sich problemlos.
Rucksack: (*)
Unterirdisch
Für den heutigen Stand bei Outdoor-Rucksäcken eine echte Katastrophe. Bedingt durch die seitlichen Airbags muss man schon eine Menge Kompromisse bei der Verzurrbarkeit des Rucksacks (und von aussen anzubringendem Gebaumel) eingehen. Was die beiden Aufsätze dann bieten, ist wirklich armselig.
Aufsatz Vario 15L:
Auffällig sind sofort die zwei grossen, orthogonalen Reissverschlüsse. So ein Käse! Ich fang mal oben an: Kleiner Reisverschluss eröffnet einen innen angenähten Beutel für Kleinteile, wie Brille, Schlüssel, Geldbörse oder Handy (max. 3 von 4). Da der Beutel lose im Innenraum hängt, wird er bei entsprechender Ladung auch zugequetscht und man kommt u.U. gar nicht mehr wirklich an diese Kleinteile heran.
Drunter sitzt ein waagerecht über 3/4 des Rucksacks verlaufender Reissverschluss -die Öffnung zum Hauptfach. Wer hier z.B. eine DSLR reintun will, schafft das nur bei abgenommenem Objektiv. Felle müssen durchgequetscht werden. Da die Öffnung nur wenig Einbick erlaubt, und das Innenleben schwarz ist, ist man bei Be- und Entladung grundsätzlich voll auf seinen Tastsinn angewiesen. Das Hauptfach hat keinerlei Unterteilungen.
Darunter senkrecht ist der Reissverschluss für das Schaufelfach (ich nehme an, es handelt sich um jenes). Wenn man einmal herausgefunden hat, wie man das Schaufelblatt rein- und rausbekommt, geht es. Ganz sicher aber nicht für jedes Schaufelfabrikat. Auf jeden Fall wird's sehr fummelig, wenn der Rucksack voll und das Hauptfach zu ist. Stiel und Sonde passen hier ganz sicher nicht hinein -also ab ins Hauptfach und lose rumfliegen lassen.
Das Skitragesystem (zwei Bänder hinten am Rucksack sowie je eine verzurrbare Schlaufe oben und unten) funktioniert. Mehr aber auch nicht. Gut festschnallen lassen sich die Ski grundsätzlich nicht. Mit der Belagsseite nebeneinander auf den Rucksack gelegt und mit Hilfe aller vier Riemen verzerrt, geht es aber passabel. Ein Gummizug oben und eine Lasche unten erlauben die Befestigung von Pickel, Stöcken oder Kleinkram.
Wenn ihr glaubt, das war schlimm, dann komm ich jetzt zum nächsten Aufsatz Vario 50L:
+/- gleiche Bauart. Grosser Sack mit senkrechtem Reissverschluss für die Aussentasche. Allerdings mit Deckelhaube. Die Deckelhaube kann Rückenseitig und Vorne verzurrt werden (allerdings nie so, dass sie Spaltfrei bei leerem Rucksack abschliesst), ist komplett abclipbar (wozu?) und besitzt innen und aussen zwei Kleinteilfächer mit Reissverschlüssen. Bis auf die katastrophale Verzurrbarkeit soweit in Ordnung. Das Hauptfach hat zwei Kordelzüge -wie alle klassischen Alpinrucksäcke- und ist ebenfalls ein grosses, schwarzes Loch. Allerdings mit einem dünnen Fach am Rücken, das mittels Klettverschlusslasche geschlossen werden und z.B. das Schaufelblatt aufnehmen kann.
Die Aussentasche ist wie gehabt -nur etwas grösser- und das Skitragesystem der gleiche Mist. Allerdings wirkt es sich mit der fehlenden Stabilität des grossen Sacks und dem deutlich höheren Abstand zum Rücken noch fataler aus.
Der Rucksack verfügt zwar über Zurrbänder, die das Oberteil mit dem Schultergurt verbinden, diese sind aber zur Justage weitgehend nutzlos. Damit funktioniert der Aufsatz nur einigermassen, wenn man auch wirklich 50L füllen muss.
Fazit: **
Das muss besser gehen
Das Airbag-System ist gut. Und das man aufgrund der Konstruktion Gewichtsnachteile und auch Komforteinbussen bei der Rucksacknutzung in Kauf nehmen muss, ist klar. So schlimm muss es aber nun wirklich nicht sein.
Ob am Rückenteil wirklich Polster, Airbageinheitstasche und Rückwand des Rucksackaufsatzes benötigt werden, sei dahingestellt.
Das wirkliche Problem sind die hauseigenen Aufsätze von ABS. Als Rucksäcke nach heutigem Stand quasi unbrauchbar. Viele Detaillösungen wären sofort verbesserbar, wenn man sich über den Praxiseinsatz nur ein paar wenige Gedanken gemacht hätte.
Die Anordnung der Reissverschlüsse scheint z.B. rein optischen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen (die auch noch fragwürdig sind). Das Skitragesystem ist sicher ein Problem zusammen mit den Airbags, aber auch hier muss Verbesserung möglich sein.
Das wirklich tragische ist aber, dass man einen Rucksack kauft, der als Lawinensicherheitsausrüstung dient, aber keinerlei gescheite Verstaumöglichkeiten für das restliche, noch wichtigere Ausrüstungspaket (also Schaufelstiel und -blatt sowie Sonde) bietet. Das ist mit persönlich völlig unverständlich.
Ganz abgesehen davon, dass keiner der Rucksäcke die heute fast obligatorische Möglichkeit bietet, eine Trinkblase zu verstauen.
Und das ganze auch noch für verdammt viel Geld. Wenn man jetzt auch noch bedenkt, dass einer der Aufsätze gleich viel oder mehr kostet, als ein voll freeridetauglicher Komplettrucksack, fehlt einem jedes Verständnis für die Entwicklungsabteilung von ABS. Wie dieses System den ISPO Outdoor Award gewinnen konnte, ist mir schleierhaft.
Zusätzlich muss noch erwähnt werden, dass ein Stein bei einem Sturz direkt Rucksackaussenhülle und innenseitige Rückwand durchrissen hat. Ob das an der Stoffqualität lag oder der Stein so spitz war, kann ich nicht klar auseinander halten. Passiert ist es mir mit anderen Rucksäcken zumindest noch nie.
Das Airbag-System an sich ist aber sicher gescheit und als Base-Unit zusammen mit den scheinbar recht brauchbaren Aufsätzen von Drittanbietern wie Millet wohl auch zu empfehlen. Trotzdem bleibt der dringende Wunsch nach mehr Innovation und Bewegung in diesem Sektor. Es wird Zeit, dass von Snowpulse und ähnlichen ein gewisser Druck in den Markt kommt.
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