Schneedeckenuntersuchung: Nietentest und (Extended) Column Test
Aktuell ist eine "bodennahe Schwachschicht vom Frühwinter" ein Thema in den Lawinenlageberichten; Eine mögliche Schwachschicht aus rieselfähigen, reibungsarmen Kristallen am Boden oder unter Harschschichten im Altschnee.
Dieses Gefahrenmuster (gm) 1 bringt laut den Entdeckern Mair und Nairz zusammen mit den (gm) 5 "Schnee nach langer Kälteperiode" und (gm) 6 "Lockerer Schnee und Wind" effektiv den grössten Personenschaden.
In dem Zusammenhang ist es für uns Freerider und Tourengeher interessant, ob wir selber vor Ort die Schneedecke auf Schneebrettanfälligkeit untersuchen können.
Denn den
- Lawinenlagebericht,
- die darauf basierende Tourenplanung,
- die Wahrnehmung von Lawinenzeichen,
- Anwendung einer Reduktionsmethode sowie
- eigene Erfahrung
kann man noch durch konkretes Anschauen der Schneedecke ergänzen. Mir reicht es nicht, nur mit dem Stock nach "Schwachschichten" zu stochern.
Besonders wenn sich mit der Altschneeproblematik noch schwerer einschätzbare, aber auch massigere (und damit tödlichere) Lawinen in den kommenden Tagen und Wochen abzeichnen, lohnt es sich, z.B. einen steileren Nordhang über 2000 m bei einer Haustour mal auf geeignete Weise punktuell zu untersuchen.
Das Anfertigen eines vollen Schneeprofils oder eines grossen Rutschblocktests (1,5 m x 2 m) ist unpraktikabel und ersteres erfordert viel Wissen.
Zwei Einführungen zur Schneedeckenuntersuchung fand ich aufschlussreich:
Einführung Schneedeckendiagnose von bergundsteigen:
http://www.bergundsteigen.at/file.ph...iagnose%29.pdf
Einführung in die Interpretation von Schneedeckenuntersuchungen bei den Schweizer Lawinenkommssionen
(Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL):
http://www.wsl.ch/info/mitarbeitende...rsuchungen.pdf
Es kristallisiert sich heraus, dass für den engagierten Laien der Nietentest empfohlen wird, der Schwachschichten anhand einiger Merkmale beschreibt. Er wird sinnvoll ergänzt durch den (Extended) Column Test, bei der die Bruch- und Gleitfähigkeit an einem kleinen Rutschblock versuchsmässig erprobt wird. Beides zusammen erlaubt eine Interpretation der Schneebrettanfälligkeit an der örtlichen Schneedecke (im Kontext aller Gesamtinformationen):
http://www.bergundsteigen.at/file.ph...tentest%29.pdf
Weitere Hintergrundinfos:
Altschneeproblem, hier spezifisch im Zusammenhang mit besonders betroffenen "inneralpinen Bereichen":
http://www.bergundsteigen.at/file.ph...altschnee).pdf
Die Schneedeckentests im Vergleich:
http://www.bergundsteigen.at/file.ph...vergleich).pdf
Danke an Bergundsteigen und die Schweizer WSL.
AW: Schneedeckenuntersuchung: Nietentest und (Extended) Column Test
Sehr wertvoller Beitrag! Danke sehr.
dRu
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das ganze halt nicht zur einzelhangbeurteilung nehmen, eh klar.
freak~[:fish:&:ghost:]
AW: Schneedeckenuntersuchung: Nietentest und (Extended) Column Test
Danke. Hab ich gerne geschrieben. Und das dort veröffentlichte Material ist zwar schon viel erwähnt worden. Aber es kennt auch noch nicht jeder.
@freak: Es muss eh an einer sicheren Stelle angefertigt werden. Es erlaubt bei korrekter Anwendung eine erweiterte Einschätzung der Schneedecke vor Ort. Sogar ggfs. an anderen Orten mit vergleichbarer Gesamtsituation.
Was es nicht heisst: Gefahrenstufe drei, 45 Grad, ungünstige Exposition, Triebschnee. Reduktion verbietet Befahren, und ich grab schnell mal einen tollen Nietentest irgendwo in der Nähe, alles topp, und ich habe einen erlaubenden Faktor...
Aber es kann ein wertvoller verbietender Faktor sein!
Aber wenn du weitere Erkenntnisse hast, heraus damit.
AW: Schneedeckenuntersuchung: Nietentest und (Extended) Column Test
Daumen hoch ! Mal wieder super Infos.
Nur eins hab ich nicht ganz verstanden. Rutschblock, Säulen, Extended Column ect. scheinen ja alle recht ähnlich zu sein und aus der Festigkeit eines ausgeschnittenen Schneeblockes zu resultieren. Die Festigkeit wird meist durch Belastung von oben mittels Klopfbewegungen getestet, beim Rutschblocktest sogar durch draufspringen.
Da das Gewicht und die "Klopfstärke" der Tester jedoch stark schwanken dürfte, wäre eigentlich eine genormte Gewichtbelastung nötig um die Ergebnisse wiederholbar zu machen. Würde mich interessieren wie man dieses Problem angeht oder möglicherweise schon gelöst hat.
AW: Schneedeckenuntersuchung: Nietentest und (Extended) Column Test
Das letzte PDF beschreibt den Unterschied, der Extended Column Test wird 30 x 90 cm angelegt, der Column Test nur mehr 30 x 30 cm.
Es wird bei den beiden 10 mal mit der Hand geklopft, 10 mal mit dem Unterarm, 10 mal mit dem Arm. Das Kriterium Bruchzeitpunkt für stabil/instabil unterscheidet sich bei den zwei Varianten.
Ich vermute, dass man die Tests erst mal paarmal machen muss, bis man die aufgebrachte Kraft und die folgende Interpretation einordnen kann. Man soll die entsprechenden Gliedmassen mehr fallen lassen, als aktiv aufschlagen. Es wird aber auch gesagt, dass der Charakter des Bruches teils noch aussagekräftiger ist als der reine Bruchzeitpunkt.
Die Bruchfortpflanzung und Gleitwilligkeit ist aber bei den flächigeren Tests aussagefähiger.
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bei den bedingungen wie beschrieben und auch aktuell, empfiehlt es sich innerhalb der verschiedenen staistischen empfehlungen eher am unteren limit zu hantieren.
das hier fand ich so einen klassiker. die beiden kollegen vorgefahren, einen ticken weiter hin zu etwas weniger schnee, es hielt, 2m weiter in den 2grad steileren bereich über 34° und schwupps, schon sehen wir die alte schneeschicht.
http://www.powderplus.de/wp-content/...110_133246.jpg
(äh ja, genau hinschauen, da gehen 3 spuren raus, der dritte hat das foto gemacht ;))
und ja, hier nochmal der aktuelle tipp: derzeit gilt fast alles gelände als nicht ständig befahren. kein bonus am pistenrand daher.
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Eieiei...
Ja, gerade bei (gm) 1 nicht die Grenzbereiche austesten, konservativer bleiben, die Auslösewahrscheinlichkeit bei diesem Gefahrenmuster ist zwar mitunter geringer, aber die Masse der Lawine kann gross werden. Und Risiko = Eintrittswahrscheienlichkeit x Auswirkungen.
Bzw, wenn die Schneedecke mal dünner/reizbarer wird, passiert es doch.
Abgesehen davon, jetzt kommt noch massig Neuschnee, Wind...
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Das mit der Bruchfortpflanzung ist mir ebenfalls nicht ganz klar, oder ich bin einfach zu dämlich zum lesen. Ist da eine vertikale oder horizontale Fortpflanzung gemeint ? Bei 30x30 kann ich mir vertikal eigentlich fast nicht vorstellen.
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mit dem normalen ct testest du nicht die bruchfortpflanzung, damit testest du die stabilität AN DEM PUNKT (eben nicht dem hang) des tests. für die bruchfortpflanzung macht man den ect.
Zitat:
Zitat von
DasFerkel
@freak: Es muss eh an einer sicheren Stelle angefertigt werden. Es erlaubt bei korrekter Anwendung eine erweiterte Einschätzung der Schneedecke vor Ort. Sogar ggfs. an anderen Orten mit vergleichbarer Gesamtsituation.
erweiterte einschätzung ja, beurteilung eines bestimmten hangs halt eben nicht, da müsstest du schon sehr viele tests im selben hang machen da die schneedecke eben recht variabel aufgebaut ist.
freak~[:fish:&:ghost:]
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Demnach soll einem angeblich bei hoher Anfälligkeit, der obere Teil sofort entgegenkommen - also eine sehr glatte (geneigte) horizontale Bruch- und Gleitfläche.
Setzt sich der Bruch erst sehr spät, und mit starkem Klopfen (jenseits der definierten Grenze) fort, und ist er auch teilweise vertikal durch mehrere Schneeschichten, und die Bruchfläche ist rauh/uneben, dann ist das Testergebnis "stabil".
@freak: das sehe ich genau so, also besonders mit wenig Erfahrung, mal gleich zwei Tests machen, wenn man einen Ort untersuchen will. Es ist aber auch denkbar, dass du weisst, dass ein grosser gleichmässig steiler Hang ziemlich homogen aufgebaut sein muss. z.B. du hast gesehen, dass er vor dem letzten Schneefall eh schon glatt war und vielleicht sogar untersucht und es gab weder viel Wind und Verfrachtung mit/nach dem letzten Schneefall.
(PS: OK, dann wird der Hang wohl eh stabil sein, wenn er sich setzen konnte)
AW: Schneedeckenuntersuchung: Nietentest und (Extended) Column Test
Zur Bruchfortpflanzung kann man den Block eben auch doppelt so breit wie die Schaufel machen. Dann die Schaufel auf einer Seite bündig auflegen und ganz normal klopfen.
Manchmal bricht dann eben nur der Bereich unter der Schaufel, oder es gleitet eine Schicht über die gesamte Breite ab, was natürlich ungünstig zu interpretieren ist.
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Soll man eine Reepschnur mitnehmen oder Schneesäge für (E)CT oder ist Schaufel praktikabel?
AW: Schneedeckenuntersuchung: Nietentest und (Extended) Column Test
Zitat:
Zitat von
DasFerkel
Soll man eine Reepschnur mitnehmen oder Schneesäge für (E)CT oder ist Schaufel praktikabel?
Nur Schaufel ist mühsam. Säge oder Schnur geht besser.
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Zitat:
Zitat von
DasFerkel
@freak: das sehe ich genau so, also besonders mit wenig Erfahrung, mal gleich zwei Tests machen, wenn man einen Ort untersuchen will. Es ist aber auch denkbar, dass du weisst, dass ein grosser gleichmässig steiler Hang ziemlich homogen aufgebaut sein muss. z.B. du hast gesehen, dass er vor dem letzten Schneefall eh schon glatt war und vielleicht sogar untersucht und es gab weder viel Wind und Verfrachtung mit/nach dem letzten Schneefall.
auch zwei tests sagen nicht wirklich was über die stabilität eines einzelhangs aus. such dir mal einen halbwegs durchschnittlichen hang oberhalb der baumgrenze (der muss nichtmal wirklich stark gegliedert sein) und grab dort 20 schneeprofile (vmtl. reichen schon 10 oder sogar 5), dann siehst du schnell das auch ein gleichmäßig wirkender hang eben nicht homogen aufgebaut ist.
diese problematik sieht man ja auch immer wieder, z.b. der dritte der in einen hang einfährt löst ihn aus etc.
freak~[:fish:&:ghost:]
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Zitat:
Zitat von
DasFerkel
Besonders wenn sich mit der Altschneeproblematik noch schwerer einschätzbare, aber auch massigere (und damit tödlichere) Lawinen in den kommenden Tagen und Wochen abzeichnen, lohnt es sich, z.B. einen steileren Nordhang über 2000 m bei einer Haustour mal auf geeignete Weise punktuell zu untersuchen.
Für was lohnt es sich eine Schneedeckenuntersuchung durch zu führen? Wo bringt einen das auf der Handlungsebene weiter?
Findest Du die Schwachschicht, bestätigt das den LLB. Findest Du keine, kannst Du das, wie du weißt, trotzdem nicht für den Einzelhang runterbrechen...
Ich meinte irgendwo von J. Mersch gelesen zu haben, daß gerade in dem Fall/Gefahrenmuster eine Scheedeckenuntersuchung einen nicht weiter bringt!?
AW: Schneedeckenuntersuchung: Nietentest und (Extended) Column Test
Dazu gibt es von Munter sehr interessante Literatur. Sprich Rutschblock ist sehr stabil, bei der Besprechung geht der ganze Hang ab und der Rutschblock bleibt stehen...
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Zitat:
Zitat von
maestro
Für was lohnt es sich eine Schneedeckenuntersuchung durch zu führen? Wo bringt einen das auf der Handlungsebene weiter?
Findest Du die Schwachschicht, bestätigt das den LLB. Findest Du keine, kannst Du das, wie du weißt, trotzdem nicht für den Einzelhang runterbrechen...
Ich meinte irgendwo von J. Mersch gelesen zu haben, daß gerade in dem Fall/Gefahrenmuster eine Scheedeckenuntersuchung einen nicht weiter bringt!?
Insofern nicht, aber ich mache es sehr gerne, einfach um die gesamte Thematik besser zu verstehen und weil es mich einfach interessiert. Irgendwann ist man vielleicht wo wo es keinen Llb gibt, und kann dann auf ein viel besseres Verständniss zurückgreifen.
AW: Schneedeckenuntersuchung: Nietentest und (Extended) Column Test
Aber selbstverständlich kannst du durch ein geeignet angelegten Nietentest/CT Rückschlüsse über einen Einzelhang treffen.
So wie hier geredet wird - warum haben denn wohl fähige Leute diese Tests erfunden?
Auch der Lawinenwarendienst untersucht die Schneedecke und tut genau das, nämlich Rückschlüsse auf Schneedecken in vergleichbaren Situationen ableiten.
Dass man dabei Inhomogenitäten im Hang einkalkuliert und viell. sogar optisch sehen kann ist doch selbstverständlich. Klar, dass man denken muss!
Oben habe ich bereits angeführt, dass eine solche Untersuchung z.B. einen Hinweis geben kann, dass eine örtliche Schneedecke mal unerwartet gefährlich sein kann (verbietender Faktor).
Muss man jetzt jede einzelne Banalität auf dem Tablett servieren? Zum Beispiel, dass man seinen Informationsstand über steilere Hänge verbessern kann, wenn die Lawinenwarnstufe gerade von drei auf zwei gesunken ist, oder wenn man selber bestimmte Zweifel über eine Gegend hat. Dass man vernetzt denken muss. Dass andere Informationsquellen nötig sind. Dass man eigene Beobachtungen im Winterverlauf macht.
Es steht doch auch alles in den Dokumenten, oder man kann durch Nachdenken draufkommen.
Es wird niemand gezwungen, sich die Schneedecke anzusehen. Wenn er seine Entscheidungen wie eh fast alle alleine auf anderen Grundlagen treffen will, und seine Strategie darauf abstimmt, gut. Warum andere nicht selber die Schneedecke ansehen wollen ist mir doch egal. Wen es nicht interessiert, der lässt es.